Neuer Index soll herkömmliche Wachstumsermittlung in Hamburg um soziale und ökologische Faktoren ergänzen. Es wäre die erste Studie für eine deutsche Großstadt.

Hamburg. Die Grünen wollen den Wohlstand Hamburgs neu berechnen. Nicht mehr Wachstum soll alleiniges Kriterium sein. Vielmehr soll zwischen guter und schlechter Wirtschaftskraft unterschieden werden. „Wir haben deshalb die Berechnung eines Wohlfahrtsindexes für Hamburg in Auftrag gegeben“, sagt Anjes Tjarks, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen. Es wäre der erste für eine Großstadt.

Der Wohlfahrtsindex soll rein ökonomische um soziale und ökologische Faktoren ergänzen. Gemessen werden Werte etwa für Einkommensverteilung, Hausarbeit oder Umweltkosten. Nicht mehr die Menge der Produktion ist dabei entscheidend, sondern die Art und Weise. Der neue Index basiert zwar wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf dem privaten Verbrauch, also dem Wert aller konsumierten Güter und Dienstleistungen. Allerdings werden negative Folgekosten wie etwa Umweltverschmutzung abgezogen. „Eine Sturmflut führt etwa zu einem Wachstum, weil es hohe Wiederaufbaukosten gibt“, sagt Tjarks. „Das Leid der Menschen wird aber im BIP nicht abgebildet.“

Anfang des Jahres hat das Bundesumweltministerium bereits den Nationalen Wohlfahrtsindex (NWI) von der Freien Universität Berlin errechnen lassen. Das Ergebnis: Während das Bruttoinlandsprodukt im Jahrzehnt 2000 bis 2010 preisbereinigt um rund fünf Prozent anstieg, sank der NWI um vier Prozent.

„Es muss eine Idee geben, wie wir leben wollen, wohin Hamburg steuern soll“, sagt Tjarks. Ihm ist der Kurs des SPD-Senats zu eindimensional. „Bürgermeister Olaf Scholz setzt auf wachsende Bevölkerungs- und Containerzahlen. Das ist immer mehr vom Gleichen.“ Der Wirtschaftspolitiker sieht sich bei seinem Vorstoß von einer Abendblatt-Umfrage bestätigt, an der 3200 Hamburger vor wenigen Wochen teilgenommen haben. Danach antworteten 79 Prozent der Teilnehmer auf die Frage „Muss die Einwohnerzahl Hamburgs unbedingt weiterwachsen?“ mit Nein. „Das zeigt, dass es den Menschen nicht allein um Wachstum geht“, so Tjarks.

Dessen Ansichten werden auch in Teilen der Wirtschaft geteilt. Dominik Lorenzen etwa, Grünen-naher Aufsichtsratsvorsitzender des nach ihm benannten Messedienstleistungsunternehmen sagt: „Es ist gut, davon abzukehren, dass nur die Wirtschaftsleistung zählt.“ Vor acht Jahren ist er von Hannover nach Hamburg gekommen. „Hamburg ist eine lebenswerte Stadt, und Lebensqualität lockt an und bindet.“ Für ihn sei es wichtig, Mitarbeiter zu finden, die mehrsprachig sind. „Die finde ich eher hier als in Neubrandenburg.“ Er kritisiert die lokale Wirtschaftspolitik. „Die setzt fast nur darauf, den Hafen auszubuddeln und die bestehenden Industrien mit Förderungen zu halten. Das geht an 90 Prozent der Unternehmen vorbei.“ Für ihn sei wichtig, dass er in der Stadt gut von A nach B komme oder Betreuungsplätze für seine Kinder habe. Wie gut Hamburg dabei im Wohlfahrtsindex abschneidet, zeigt sich im Frühjahr. Dann sollen die Ergebnisse der 10.000 Euro teuren Studie vorliegen.