Zwei Genossen hatten mit einer Broschüre, dem „Hamburger Diskurs“, mächtig für Aufruhr innerhalb der SPD gesorgt, weil sie darin die Vorzüge für einen kompletten Rückkauf der Energienetze beschreiben.

Nach außen gab sich Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) betont locker. Was können ein, zwei Abweichler schon ausrichten – in einer Partei „mit mehr als 10.000 Mitgliedern“? Gemeint waren die Genossen Carola Ensslen aus Eimsbüttel und Dietrich Lemke von den SPD-Senioren aus Wandsbek. Die beiden hatten mit einer zwölfseitigen Broschüre, dem „Hamburger Diskurs“, mächtig für Aufruhr innerhalb der SPD gesorgt, weil sie darin sieben Wochen vor dem Volksentscheid die Vorzüge für einen kompletten Rückkauf der Energienetze beschreiben. Diesen Gegenwind kann der SPD-geführte Senat zurzeit nun wirklich nicht gebrauchen. Schließlich sagen die Umfragen bislang voraus, dass es für die Regierung schwierig wird. Und so spielte Scholz das Störfeuer der beiden am Dienstag dieser Woche auf der Landespressekonferenz und zwei Tage später bei der Vorstellung der SPD-Kampagne gegen den Volksentscheid deutlich runter. „Das gehört zur innerparteilichen Demokratie.“

Ganz anders, wenn auch nur intern, sah die Reaktion bei SPD-Fraktionschef Andreas Dressel aus. „Der ist explodiert“, wird berichtet. Weiter heißt es: „Der Schaden ist groß.“ Man mühe sich seit Monaten ab, der Öffentlichkeit zu vermitteln, warum es aus Sicht der SPD sinnvoll sei, bei der 25,1-Prozent-Beteiligung an den Strom-, Gas- und Fernwärmenetzen festzuhalten. „Und jetzt machen die beiden Quertreiber das alles noch viel schwieriger.“ Es werde zudem der Eindruck erweckt, die Partei sei gespalten.

Carola Ensslen tritt nicht zum ersten Mal als innerparteiliche Opposition auf

Es ist nicht nur das erste Mal, dass Ensslen als innerparteiliche Opposition in Erscheinung tritt, es ist auch folgerichtig. Bereits vor zwei Jahren, als sich außerhalb der Parteien und der Energiewirtschaft kaum jemand für das Thema Energienetze interessiert hat, forderte die Genossin aus dem Distrikt Eimsbüttel-Nord dazu auf, die Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“, die den kompletten Rückkauf der Netze will, zu unterstützen. Das war damals schon wenig erfreulich für Scholz, aber noch vergleichsweise in Ordnung. Denn zur etwa selben Zeit hat kein geringerer als der ehemalige SPD-Bürgermeister Henning Voscherau die Netze-Initiative ebenfalls unterstützt. Damals unterschrieb er medienwirksam das Volksbegehren der Initiative, aus dem der Volksentscheid am 22. September erwachsen ist. Doch während sich Voscherau mittlerweile dagegen wehrt, als Werbefigur der Initiative zu fungieren, und immer wieder beteuert, sich nicht gegen Olaf Scholz ausspielen lassen zu wollen, bleibt Ensslen ihrer Überzeugung weiter treu.

Sie machte ihrer Partei das Leben schon davor schwer. Vor der Bundestagswahl vor vier Jahren schrammte sie knapp an einem Parteirausschmiss vorbei. Sie hatte mitten im Wahlkampf bekundet, ihre Erststimme dem CDU-Kandidaten Rüdiger Kruse zu geben und nicht dem Genossen Danial Ilkhanipour. Der Aufruf zur Wahl des politischen Gegners zog ein Parteiordnungsverfahren wegen parteischädigenden Verhaltens nach sich. In diesem Fall waren die Konsequenzen vergleichsweise mild. Ensslen wurde eine Rüge erteilt.

Ende vergangenen Jahres ein ähnlicher Vorgang. Die stellvertretende Distriktsvorsitzende unterstellte Peer Steinbrück vor seiner offiziellen Nominierung zum SPD-Kanzlerkandidaten, als Lobbyist für Baufirmen und Banken unterwegs zu sein. Auch das kam bei den Genossen nicht gut an.

Große Aufregung hat die Eimsbüttlerin vor allem mit dem Medium verursacht, welches sie für die Veröffentlichung ihres Standpunktes gewählt hatte. Der „Hamburger Diskurs“ war einst die Hauspostille der Linken in der SPD, welche sich mit den Rechten in der Partei so manchen Flügelkampf leisteten. Damit war die Verwirrung in der Partei komplett: Das Blatt ist seit zwei Jahren nicht mehr erschienen.

Der Parteilinke Sönke Klages sah sich genötigt, sich zu distanzieren

Außerdem gibt es die Linken in der Hamburger SPD als straff organisierten Parteiflügel nicht mehr. Gleichwohl gibt es Linke. Einer von ihnen, das Vorstandsmitglied Sönke Klages, sah sich genötigt, in einem Schreiben an den Landeschef („Lieber Olaf“) und die übrigen Parteispitzen, sich zu distanzieren. In einer E-Mail schrieb er: „In ihrem ‚Hamburger Diskurs‘ zum Volksentscheid (…) erwecken Dietrich Lemke und Carola Ensslen den Eindruck, sie würden damit in irgendeiner Form ‚die‘ sozialdemokratische Linke repräsentieren. Als früherer Sprecher und Koordinator der ‚Hamburger Linken‘ ist mir die Feststellung wichtig, dass dies nicht der Fall ist.“

Milan Pein, Kreisvorsitzender der SPD in Eimsbüttel, äußert sich nicht zu der Abweichlerin aus den eigenen Reihen. Das mag zweierlei Gründe haben: Einerseits würde das dem Vorgang mehr Gewicht verleihen als nötig. Das gilt im Übrigen auch für die Korrektur der Startseite des Distrikts im Internet, auf der die umstrittene Broschüre prominent vertreten ist. Es bestünde wohl die Gefahr, mit der Forderung nach Löschung eine Solidaritätswelle in Gang zu setzen. Auf der anderen Seite wäre es aus Peins Sicht unklug, es sich mit Carola Ensslen komplett zu verscherzen. Für die Wahl zum Kreisvorsitzenden ist die Unterstützung der fleißigen Distrikts-Vize zumindest hilfreich.

Andreas Dressel ist in der Zwischenzeit wieder ein wenig gefasster

Fraktionschef Dressel, in der Zwischenzeit ein wenig gefasster, meldet sich dagegen zu Wort. Die Darstellung von Ensslen und ihrem Mitstreiter Lemke erweckte den Eindruck, „dass es keine ordentliche Willensbildung in der SPD gegeben hätte“. Dies sei falsch. „Der Weg des Senats bei der Beteiligung an den Energienetzen ist in allen Gremien der Partei abgestimmt worden“, so Dressel. Der Aufruhr, den die beiden Abweichler verursachen, ist verständlich: Eine Niederlage beim Volksentscheid wäre eine Schlappe für Scholz. Auch wenn der in dieser Woche beteuerte, dass ein wie immer gearteter Ausgang weder ein persönlicher Sieg noch eine persönliche Niederlage sei.

Ein anderer Sozialdemokrat kann die ganze Aufregung dagegen überhaupt nicht verstehen. Aus seiner Sicht ist die kritische Masse viel zu klein: zwei Querköpfe und eine billige Kampagne. „Ob sich zwei von 10.000 Sozis streiten oder ein bisschen Geld für die SPD-Kampagne ausgegeben wird, ist doch so egal“, sagt er. „Beides bleibt völlig wirkungslos.“