Große Expertenrunde streitet um Hamburger Volksentscheid. Kartellamt warnt vor den Folgen. BUND-Sprecher greift Vattenfall an

Hamburg. Der Rückkauf der Energienetze in städtischen Besitz, um den es beim Volksentscheid am 22. September geht, könnte am Kartellrecht scheitern. „Kommunale und finanzielle Interessen dürfen bei der Vergabe der Netz-Konzessionen keine Rolle spielen. Das wäre missbräuchlich und kartellrechtswidrig“, sagte Felix Engelsing, im Bundeskartellamt zuständig für den Bereich Strom-, Gas- und Fernwärme.

Der Volksentscheid sieht vor, dass der Senat alle zulässigen Schritte unternehmen soll, um das Strom-, Gas- und Fernwärmenetz von den Energiekonzernen Vattenfall und E.on komplett zurückkaufen. Derzeit hält Hamburg nur einen Anteil von 25,1 Prozent.

Engelsing wies in einer Podiumsdiskussion auf Einladung der Handwerkskammer beim Fernsehsender Hamburg 1 darauf hin, dass die Voraussetzung für die Vergabe der Netze eine diskriminierungsfreie Ausschreibung sei. „Das beste Angebot für die Verbraucher soll den Zuschlag erhalten“, sagte Engelsing. „Dafür gibt es fünf Kriterien: Effizienz, Versorgungssicherheit, Preisgünstigkeit, Verbraucherfreundlichkeit und Umweltverträglichkeit.“

BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch, einer der Initiatoren des Volksentscheids, widersprach. „Wir meinen, dass bei der nächsten Vergabe der Netze ein hoher kommunaler Einfluss bei den Kriterien festgelegt werden muss“, sagte Braasch in der von den Chefredakteuren Michael Schmidt (Hamburg 1) und Lars Haider (Abendblatt) moderierten Diskussion. „Die kommunale Selbstbestimmung nach dem Grundgesetz muss auch bei der Netzvergabe greifen“, forderte Braasch. Wenn andere Kriterien wie Versorgungssicherheit von der noch zu gründenden städtischen Betriebsgesellschaft gewährleistet seien, dann könne Hamburg dem Unternehmen den Zuschlag geben.

„Wenn stadteigene Unternehmen bevorzugt werden, wird ein Missbrauchsverfahren folgen. Das ist klar“, konterte der Bundeskartellamts-Beamte. „Wir sind der Auffassung, dass fünf Kriterien reichen. Sicher, effizient, preisgünstig, verbraucherfreundlich und umweltverträglich sollen die Netze sein, mehr will man nicht.“ Engelsing räumte ein, dass die Kriterienauswahl nicht „höchstrichterlich“ geklärt sei.

Wenn sich die Hamburger für den kompletten Rückkauf der Energienetze aussprechen, muss die Stadt sehr schnell eine Betriebsgesellschaft gründen, die sich um die Netze bewirbt. Die Ausschreibungsfrist für das 27.000 Kilometer lange Stromnetz endet schon am 15. Januar. In der kurzen Zeit könnte das Unternehmen vermutlich nur ein kleines Team aufbauen. „Newcomer sind zuschlagsfähig, aber leere Hüllen natürlich nicht“, sagte Engelsing. In Berlin habe sich ein neu gegründetes Unternehmen „mit nur einem halben Geschäftsführer“ an der Ausschreibung beteiligt. „Wie will dieses Unternehmen die Netze sicher, effizient und preisgünstig betreiben?“, fragte Engelsing.

Braasch geht davon aus, dass die städtische Gesellschaft den rund 190 Mitarbeitern, die sich derzeit bei Vattenfall um das Stromnetz kümmern, nach dem Zuschlag ein Übernahmeangebot macht. „Wir würden uns auch bei einem erfolgreichen Volksentscheid erneut für den Betrieb der Netze bewerben“, kündigte dagegen Pieter Wasmuth, Generalbevollmächtigter von Vattenfall Europe, in der Diskussion an. CDU-Bürgerschafts-Fraktionschef Dietrich Wersich warf den Initiatoren des Netze-Rückkaufs vor, falsche Erwartungen zu wecken. „Der Strom wird nicht billiger und nicht ökologischer, wenn wir die Netze zurückkaufen.“

Auch werde, so Wersich, die Versorgung nicht sicherer. „Im Gegenteil: Mir wird angst und bange, wenn ich an den Zustand des Hamburger Verkehrsnetzes mit seinen Schlaglöchern denke und mir vorstelle, dass uns das künftig auch mit den Stromleitungen blüht.“ Hamburg brauche keinen „VEB Netze“.

Braasch hielt dem entgegen, dass es auch positive Beispiele gebe. „Hamburg Wasser ist zu 100 Prozent in städtischem Besitz. Die Wasserqualität ist sehr gut und das Unternehmen macht Gewinne“, so Braasch. Es gebe schlechte private und schlechte öffentliche Unternehmen. „Man muss es eben gut managen. Ich glaube, wir bekommen das bei den Netzen hin“, sagte Braasch.

Der BUND-Geschäftsführer betonte, dass Vattenfall seiner Ansicht nach der falsche Partner der Stadt sei. „Vattenfall ist der größte Braunkohle-Produzent in Deutschland, wenn nicht Europas.“ Außerdem verklage das Unternehmen die Bundesrepublik wegen des Atomausstiegs vor einem zweifelhaften Washingtoner Gericht“. Ein städtischer Netzbetreiber habe die Aspekte Klimaschutz und Daseinsvorsorge besser im Blick. „Wir trauen einem Unternehmen wie Vattenfall, das auf Kohle und Atom setzt, nicht zu, die Energiewende erfolgreich zu gestalten.“

„Es spielt beim Volksentscheid überhaupt keine Rolle, ob man Vattenfall mag oder nicht. Die Leute werden an der Nase herumgeführt“, sagte SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. Manche würden aufgrund falscher Andeutungen sogar denken, dass die alten HEW zurückkämen.

Im Übrigen seien die zwei Milliarden Euro, die für den Rückkauf benötigt würden, „verdammt viel Geld, das Hamburg nicht hat“. Vattenfall-Chef Wasmuth betonte, dass sein Unternehmen schon jetzt 1,5 Milliarden Euro in Hamburg in die Energiewende investiere. Die Gewährleistung der Versorgungssicherheit sei gerade in Hamburg eine komplexe Aufgabe. „Wir haben hier dank Hafen und Industrie zehn Prozent des bundesweiten Stromverbrauchs“, sagte Wasmuth.

Hamburg 1 sendet die Diskussion heute Abend um 20.15 und 22.15 Uhr.