Warum sich die Tücken der Volksgesetzgebung bei den Energienetzen zeigen

Die Gegner des Volksentscheids zum Rückkauf der Energienetze in Hamburg haben einen Lieblingswitz: Ein Mann kommt zum Arzt, weil er sich unwohl fühlt. Der Arzt untersucht ihn und stellt eine Krankheit mit einem unaussprechlichen Namen fest. „Und was kann man dagegen tun?“, fragt der Patient besorgt, der nicht ansatzweise versteht, worum es geht. „Ja“, fragt der Arzt zurück, „was würden Sie denn tun?“

Die kleine Geschichte bringt eine Kritik an der Entscheidung auf den Punkt, die am 22. September ansteht. Das Thema ist derart komplex, dass eigentlich nur Fachleute genau beurteilen können, was ein Ja oder Nein am Ende bedeutet. Das liegt auch an der Formulierung des Textes, über den die Hamburger abstimmen sollen. Er lautet: „Senat und Bürgerschaft unternehmen fristgerecht alle notwendigen und zulässigen Schritte, um die Hamburger Strom-, Fernwärme- und Gasleitungsnetze 2015 wieder vollständig in die öffentliche Hand zu übernehmen. Verbindliches Ziel ist eine sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien.“ Die beiden Sätze geben mehr Fragen als Antworten: Was sind denn die notwendigen Schritte, was die zulässigen? Welche Unterschiede gibt es zwischen Strom-, Fernwärme- und Gasnetz? Ist die vollständige Übernahme denn überhaupt möglich, nur weil „das Volk“ es will? Kann man mit der Übernahme der Energienetze wirklich garantieren, dass die künftige Versorgung Hamburgs klimaverträglich ist? Und so weiter und so kompliziert.

Die grundsätzliche Schwäche des Volksentscheids ist, dass die Bürgerschaft im positiven Fall eben nicht verpflichtet wird, ein Gesetz mit einem konkreten Inhalt zu beschließen. Der Volksentscheid würde erst einmal nur mehrere Verfahren in Gang setzen, nämlich je eines für Strom, Fernwärme und Gas, deren Ausgang offen ist. Bei den Stromnetzen kann am Ende zum Beispiel stehen, dass die Stadt zu 100 Prozent den Betrieb organisiert, aber eben auch, dass alles so bleibt, wie es jetzt ist. Diese Aussicht ist unbefriedigend, genauso wie ein Volksentscheid, der nicht, wie etwa bei den Primarschulen, automatisch zu einem klaren Ergebnis führt.

Die Auseinandersetzung um die Energienetze zeigt so auch exemplarisch eine Schwäche der Volksgesetzgebung insgesamt. Nicht dass wir uns falsch verstehen: Volksentscheide sind ein gutes Mittel, unsere repräsentative Demokratie zu ergänzen und dem Souverän auch zwischen zwei Wahlen die Möglichkeit zu geben, bei großen Themen mitzuwirken. Nur sollten die Formulierungen, über die man bestimmen kann, dann auch eindeutig sein. Je klarer die Frage ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sich möglichst viele Wähler mit dem Thema beschäftigen und auch verstehen, worum es geht. Für alles andere, insbesondere für hochkomplexe politische Probleme, haben wir schließlich ordentlich bezahlte Politiker, die das, um es flapsig zu sagen, ja immerhin beruflich machen.

Diesen Politikern wird, auch das ist heute klar, bei einem positiven Volksentscheid zum Rückkauf der Energienetze nichts anderes übrig bleiben, als Volkes (leicht diffusen) Willen umzusetzen. Soll heißen: Die Stadt wird gar nicht anders können, als zum Beispiel das Stromnetz 2014 an ein eigenes Unternehmen zu vergeben – ganz gleich, ob es, so wie es die Ausschreibung vorsieht, das beste, effizienteste etc. ist. Notfalls wird man mehr oder weniger bewusst gegen Vergabevorgaben verstoßen, um nicht in den Verdacht zu geraten, den Volksentscheid zu boykottieren. Und dann? Dann werden eben jene großen Energiekonzerne, denen die Befürworter des Volksentscheids die Netze entreißen wollen, gegen die Vergabe vor Gericht klagen – und am Ende entscheidet doch nicht das Volk...