Weil Richter überlastet sind, stapeln sich am Oberlandesgericht unerledigte Fälle. Das hat auch Auswirkungen auf Eilverfahren, zum Teil wird seit mehr als einem Jahr auf eine Entscheidung gewartet.

Neustadt. Ein Eilverfahren sollte innerhalb von wenigen Wochen entschieden werden – in Hamburg jedoch wartet man derzeit mehrere Jahre auf ein Urteil. Schuld daran ist die Überlastung des Hanseatischen Oberlandesgerichts, die zu erheblichen Verfahrensverzögerungen führt. Betroffen sind davon insbesondere einstweilige Verfügungsverfahren, sogenannte Eilverfahren. Über 30 von diesen warten seit mehr als einem Jahr am OLG auf eine Entscheidung. Bei einigen sind die Termine für eine Bearbeitung sogar erst nach dem zweiten Quartal 2014 angesetzt. Dieser Stau kostet Steuergelder: Wenn ein Eilverfahren länger als sechs Wochen dauert, können die betroffenen Parteien einen Schadensersatz von 1200 Euro pro Fall und pro Jahr verlangen, den die Stadt leisten muss.

Auch Hamburgs Wirtschaft drohen durch die Verzögerungen erhebliche Schäden, denn häufig betreffen die einstweiligen Verfügungsverfahren das Wettbewerbs- oder Urheberrecht. Das Oberlandesgericht prüft dann Fälle, in denen Produkte vom Landgericht verboten und vom Markt genommen wurden. Die lange Bearbeitungszeit bedeutet für die betroffenen Parteien massive wirtschaftliche Nachteile. „Bei einem vorschnellen Verbot von innovativen Produkten besteht zudem das Risiko, dass der Platz am Markt von einem anderen Unternehmen eingenommen wird“, sagt der Rechtsanwalt Joachim Sachs.

Seine Kanzlei hat derzeit fünf Eilverfahren am OLG liegen, die länger als ein Jahr auf eine Entscheidung warten. Einer seiner Klienten, die Firma Canea Pharma, brachte als erstes europäisches Unternehmen eine Melatonin-Kapsel gegen Jetlag auf den Markt. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (ESFA) hatte das Hormon Melatonin 2010 für die Verwendung in diätetischen Lebensmitteln freigegeben. Das Landgericht Hamburg verbot das Produkt, weil es sich nach seiner Ansicht um ein Arzneimittel handelte. Im September 2012 legte Joachim Sachs, dessen Kanzlei auf Lebensmittelrecht spezialisiert ist, beim Oberlandesgericht Berufung ein und forderte eine schnelle Überprüfung des Urteils. Seitdem ist nichts passiert, das Produkt ist immer noch verboten.

In einem Brief an Sachs bedauert der Amtsleiters der Justizbehörde, Wolfgang Siewert, die eingetretenen Verzögerungen. Er zitiert darin den Vizepräsidenten des OLG, Guido Christenden, der die Verzögerungen bestätigt habe. Der zuständige Senat habe demnach „eine besonders hohe Belastung mit einem hohen Anteil an Verfügungsverfahren.“ Obwohl sich die Richterinnen und Richter mit „weit überobligatorischen Einsatz“ bemühen würden, „ließen sich Verzögerungen in der gegenwärtigen Situation leider nicht immer vermeiden.“

Auf Nachfrage des Abendblatts sieht sich die Behörde weniger selbstkritisch. „Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich die Verfahrensdauer der Verfügungsverfahren im Schnitt in den letzten Jahren wesentlich verlängert hat“, sagt der Sprecher der Justizbehörde, Thomas Baehr. Er verweist zudem auf die unveränderte Personalausstattung des richterlichen Dienstes am OLG mit 62 Stellen. 145 Vollkräfte seien im Moment dort beschäftigt, das entspreche genau dem Zielwert, der in Absprache mit dem OLG vereinbart sei.

Die aktuellen Zahlen lassen die Lage kritischer erscheinen. Aktuell sind dem dritten Zivilsenat 94 Verfügungsverfahren anhängig, von denen 14 noch aus dem Jahr 2011 stammen und 45 aus dem vergangenen Jahr. Aus dem Jahr 2013 sind bis heute schon 35 Verfahren anhängig. Zusätzlich belastet wird das OLG, weil ihm seit 2012 vermehrt Strafverfahren von der Generalbundesanwaltschaft aus Karlsruhe zugewiesen wird. Deshalb werden von Ende Juli an drei Zivilrichter mit einem Teil ihres Pensums zum Strafsenat abgezogen. Die übrigen Richter im Zivilsenat müssen deren Ausfall wohl mit weiteren Arbeitsstunden auffangen. Arbeitszeiten von bis zu 80 Stunden die Woche sollen keine Seltenheit sein.

Der Bürgerschaftsabgeordnete André Trepoll (CDU) befürchtet erhebliche wirtschaftliche Schäden durch die Verfahrensverzögerungen und stellte dazu eine schriftliche kleine parlamentarische Anfrage an den Senat. Er sieht Handlungsbedarf auf Seiten der Behörde: „Die Justizbehörde ist für die Personalausstattung der Gerichte verantwortlich und muss gegebenenfalls nachsteuern“, fordert er. Ähnlich sieht es die Vorsitzende des Anwaltvereins Hamburg, Ulrike Hundt-Neumann: „Richter in Hamburg sind flächendeckend überlastet. Jedes Verfahren, das lange liegt, ist für die Parteien äußerst heikel“, sagt sie.