Die erlösende Nachricht erreichte Justizsenatorin Jana Schiedek am Mittwochabend um 20.05 Uhr. „Polizeiliche Erstinformation – entwichener Strafgefangener verhaftet“, stand in der Betreffzeile der Email, die vom Lagezentrum der Polizei über die Innenbehörde an einen kleinen Kreis politisch Verantwortlicher und deren Mitarbeiter geschickt wurde. Als die SPD-Politikerin die Nachricht auf ihrem Smartphone las, war sie gerade beim Iftar-Empfang aus Anlass des Fastenbrechens während des Ramadan im Bürgersaal des Bezirksamts Wandsbek.

„Der seit dem 20.07.2013 aus der Untersuchungshaftanstalt flüchtige 25-jährige Strafgefangene Saremba konnte durch Polizeikräfte verhaftet werden“, heißt es polizeilich knapp und nüchtern in der Mitteilung. Damit ging eine viertägige Phase der Ungewissheit und des Wartens für Schiedek zu Ende, nachdem Thomas Saremba in der Nacht zum Sonnabend die spektakuläre Flucht aus dem Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis gelungen war. Der Justizsenatorin dürfte allein deswegen ein Stein vom Herzen gefallen sein, weil der Intensivtäter, der wegen des Vorwurfs sexuellen Missbrauchs hinter Gittern saß, offensichtlich keine schweren Straftaten in Freiheit begangen hat.

Ein weiterer Übergriff Sarembas hätte die seit dem Wochenende entbrannte Diskussion über die Sicherheit der U-Haftanstalt, die Schiedek zunehmend in Bedrängnis brachte, noch einmal deutlich verschärft. Die Suche nach Saremba ist beendet, die politische Aufarbeitung der Umstände, die den Ausbruch ermöglichten und begünstigten, dagegen noch nicht. Am kommenden Donnerstag muss Schiedek vor dem Justizausschuss der Bürgerschaft Rede und Antwort stehen.

Seit 2007 ist bekannt, dass die Flucht aus der U-Haft leicht gelingen kann

Dann wird die Ressortchefin auch Farbe in dem Punkt bekennen müssen, wer für die zum Teil haarsträubenden Sicherheitsmängel verantwortlich ist. Genau das hat Schiedek bislang nicht getan. Zwar hat die Justizbehörde in durchaus ungewöhnlicher Offenheit und sehr schnell Details des spektakulären Ausbruchs veröffentlicht. Ungeklärt ist aber zum Beispiel, wie es angehen kann, dass ein Stück der Mauer, an dem Bauarbeiten stattfanden, nicht mit einem Sicherungsdraht ausgestattet war. Genau diese Stelle hatte der Häftling zur Flucht genutzt. Schiedek wird auch die Frage beantworten müssen, warum kein Wachmann einen Kontrollgang über den Hof unternommen hat, nachdem der optische und akustische Alarm vermutlich vom flüchtenden Saremba ausgelöst worden war. Stattdessen beließ es der Mann bei einem Kameraschwenk per Joystick und ging von einem Tier als Ursache aus, obwohl er nichts beobachtet hatte.

Doch der Ausbruch wirft auch Fragen nach der direkten politischen Verantwortung der Senatorin auf. Seit einer Flucht im Jahr 2007 aus demselben Gebäudetrakt ist bekannt, dass handwerklich geschickte Häftlinge mit einfachstem Werkzeug – Besteck, Besenstiel und Tischbein – den Putz des maroden Mauerwerks lockern können, um Steine herauszulösen. Seit Jahren ist der extrem hohe Sanierungsbedarf für den Gebäudeflügel bekannt, den der Senat auf 14 Millionen Euro beziffert. Geschehen ist aber bislang nichts. Der SPD-Senat will bis 2015 keinen einzigen Euro in die Grundinstandsetzung des Hauses investieren. Die Frage ist, ob sich dieser Kurs noch durchhalten lässt.

Schiedek erlebt Wochen der politischen Ernüchterung. In den ersten gut zwei Jahren seit ihrem Amtsantritt konnte sich die 39 Jahre alte Sozialdemokratin, die auch für Gleichstellung zuständig ist, bundesweit mit Themen wie der von ihr geforderten Frauenquote in den Aufsichtsräten von Dax-Unternehmen profilieren. Jetzt durchläuft Schiedek ihre Feuertaufe, was den Strafvollzug angeht. Genau so geht es auch dem Leiter des Strafvollzugsamtes, Holger Schatz, den Schiedek zu Jahresbeginn ins Amt geholt hatte, nachdem der langjährige und erfahrene Leiter Johannes Düwel als Direktor in die Bürgerschaftskanzlei gewechselt war.

Und die Sicherheitslage im Untersuchungsgefängnis ist nicht der einzige Brennpunkt des Strafvollzugs. Der Justizausschuss der Bürgerschaft wird auch zwei Vorfälle aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerder unter die Lupe nehmen. Dort hatten Häftlinge einen Mitgefangenen innerhalb eines halben Jahres zweimal brutal zusammengeschlagen. Das Opfer war nach der ersten Attacke nicht zu seinem Schutz in eine andere Haftanstalt verlegt worden. Die Justizbeamten hatten erst Tage nach der Tat die Polizei informiert, als mögliche Spuren beseitigt waren.

Der Neubau-Klotz von Billwerder gilt inzwischen als Risiko-Gefängnis. Der Krankenstand der Mitarbeiter ist wegen der schwierigen und belastenden Arbeitsbedingungen dort besonders hoch. Das belegt auch die Antwort des Senats auf eine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten André Trepoll vom Freitag. Danach hat sich die Zahl der registrierten körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Gefangenen innerhalb eines Jahres auf 30 Taten verdoppelt. Auch die Zahl von Informationen zu „Vorfällen“ (ohne Strafanzeigen) im Gefängnis, die von dort an die Staatsanwaltschaft gemeldet werden, hat sich drastisch erhöht: von neun im Jahr 2011 auf 37 im vergangenen Jahr.

Langfristig könnte sich die JVA Billwerder als das größere Problem für Schiedek erweisen. Nachdem die Senatorin gegen den Rat zahlreicher Experten entschieden hat, die Frauenhaftanstalt dorthin zu verlegen, ist sie in besonderer Weise für die Sicherheit der weiblichen Gefangenen verantwortlich. Jeder Übergriff auf eine Frau – trotz getrennter und gesicherter Unterbringung sind Begegnungen möglich – würde Schiedek direkt angelastet.

Die Sozialdemokratin hat einstweilen die ungeschmälerte Unterstützung ihrer Parteifreunde. Fraktionschef Andreas Dressel ist ein enger politischer Weggefährte der Senatorin. Und Bürgermeister Olaf Scholz, der sich während seines Norwegen-Urlaubs über den Ausbruch unterrichten ließ, sah keinen Grund einzugreifen.