Senator Ties Rabe will mit Praxis- und Lerntagen die Stadtteilschulen stärken. Die Gymnasien sollen folgen. Das Konzept wird vom Sommer 2014 an verbindlich. Kritik kommt von der CDU.

Hamburg. Die Hansestadt will ihre Schulabgänger fit machen für die Berufswelt und ihnen helfen, eine möglichst frühe und gut fundierte Entscheidung über den richtigen Ausbildungsweg zu treffen. "Wir wollen die Berufs- und Studienorientierung in der achten bis zehnten Klasse stark und verbindlich machen, damit die Abgänger eine klare Vorstellung davon haben, was sie beruflich anstreben", sagt Schulsenator Ties Rabe (SPD).

Das ist sein Konzept, das vom Sommer 2014 an verbindlich wird: In der achten Klasse sollen sich die Stadtteilschüler im Unterrichtsfach "Arbeit und Beruf" bis zu zwei Stunden in der Woche mit ihren Stärken und Schwächen befassen und sich über die Berufsfelder und ihre eigenen Möglichkeiten orientieren. In der neunten Jahrgangsstufe lernen sie die Arbeitswelt kennen bei Praktika in Betrieben, wissenschaftlichen oder sozialen Einrichtungen - organisiert entweder in zwei dreiwöchigen Blockpraktika oder als ein Praxistag in der Woche. Die Schulen entscheiden selbst, wie sie dies handhaben. Die Praktika werden in wöchentlich zwei Unterrichtsstunden intensiv vorbereitet, begleitet und dann ausgewertet.

Am Ende der neunten Klasse müssen die Schüler - von den Lehrern begleitet - eine Vorentscheidung treffen, wie es für sie weitergeht, also ob sie das Abitur anstreben oder eine bestimmte berufliche Ausbildung. Das zehnte Schuljahr steht dann im Zeichen dieser Wahl: An einem neu eingeführten Lerntag in der Woche bereiten sie sich gezielt auf diese Studien- oder Berufswünsche vor, sei es mit einem weiteren Praktikumstag oder der Verbesserung der schulischen Leistungen in den Fächern, die für das Berufsziel wichtig sind, in denen die Schüler aber noch Defizite haben. Auch die Abiturienten sollen sich an diesem Lerntag mit ihren besonderen Interessen oder Lernschwächen beschäftigen. Ganz einfach zu organisieren ist dies nicht. "Die Schule hat den Auftrag, unterschiedliche Unterrichtsmodule zu entwickeln und in den Lerntag einzubinden, um dem individuellen Bedarf der Schüler gerecht zu werden", sagt Rabe. Die Zahl der Lehrkräfte in diesem Bereich wurde um 48 auf 126 aufgestockt, 20 von ihnen sind in der Jugendberufsagentur tätig.

In einem zweiten Schritt sollen auch die Gymnasien in die stärkere Berufs- und Studienorientierung einbezogen werden. Viele Schüler hätten auch kurz vor dem Abitur keine Ahnung, was sie studieren wollten, berichtet Rabe aus seiner eigenen Anschauung als ehemaliger Gymnasiallehrer. Schon bisher gebe es an einigen Schulen sehr gute Modelle, sie sollen künftig für alle gelten. "Dieser Bereich ist uns so wichtig wie Deutsch, Mathematik und Englisch", sagte Schulsenator Rabe. "Deshalb können wir nicht sagen: Hier macht jeder, wie er will."

Wie nötig eine bessere Berufsorientierung ist, zeigt eine Erhebung, die die Schulbehörde im vergangenen Jahr erstmals anstellte: Nur ein Viertel der Abgänger, die nach der zehnten Klasse die Schule verließen, wechselten direkt in eine berufliche Ausbildung. Auch ein halbes Jahr nach ihrem Abschluss war noch ein Drittel dieser Schulabgänger - jährlich rund 3000 Jugendliche - ohne berufliche Perspektive. Helfen soll neben dem jetzt vorgestellten Konzept für die Stadtteilschulen auch die Jugendberufsagentur, die die Schüler nach ihrem Abschluss eng begleitet, bis sie eine Lehrstelle gefunden haben. In der Vergangenheit meldeten viele Betriebe der Schulbehörde zurück: Ein großer Teil der Schüler sei viel zu wenig auf die Berufswelt vorbereitet.

Auch wenn die Opposition das Ziel Rabes teilt, hagelt es Kritik an dem Konzept: Für alle Kinder mit Abiturperspektive verlören die Stadtteilschulen durch die stärkere Berufsorientierung weiter an Attraktivität, befürchtet die Grünen-Bildungspolitikerin Stefanie von Berg. Die Kluft zwischen Gymnasium und Stadtteilschule werde weiter vergrößert, weil das Konzept den Blick vor allem auf Lehrberufe und nicht auf das Studium richte. Auch könne Rabe sein Versprechen nicht einlösen, in den Klassen acht bis zehn fände ungefähr gleich viel Unterricht statt wie bisher.

Dem widerspricht der Schulsenator: Dass die Stadtteilschulen ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber den Gymnasien verlieren, fürchtet er nach eigenen Worten nicht. Es werde nicht weniger Unterricht an den Stadtteilschulen geben, auch werde die Zahl der Berufspraktika und der Praktikumsplätze nicht erhöht, versichert der Sozialdemokrat. Einzelne Fächer könnten in die Vertiefungsmodule in der zehnten Klasse eingebunden werden. Englisch, Deutsch und Mathematik würden nicht angetastet.

Die schulpolitische Sprecherin der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Karin Prien, begrüßt zwar die stärkere berufliche Profilierung der Stadtteilschule. Mit der Erhöhung der Zahl der Berufsschullehrkräfte setze die SPD endlich eine wichtige CDU-Forderung um. Bedauerlich sei aber, dass die SPD nicht einen Schritt weitergehe und an allen Stadtteilschulen auch die vollwertige Fachhochschulreife mit Praxisteil anbiete. Kritisch sieht Prien den Lerntag in der zehnten Klasse. Für diesen Lerntag werde Unterricht in wichtigen Fächern ausfallen. Es sei zu befürchten, dass Schüler, die das Abitur anstreben, nicht ausreichend auf die gymnasiale Oberstufe vorbereitet würden.

Die Handwerkskammer hingegen begrüßt die Initiative ausdrücklich und unterstützt sie mit der Einrichtung einer neuen Online-Börse für Betriebspraktika unter www.praktikum-handwerk.de, in der freie Plätze angeboten werden. Im kommenden Jahr wollen Kammern und Verbände eine Kampagne starten, mit der sie bei ihren Betrieben für mehr Praktikumsplätze mit hohen Standards werben.