Zum Regierungsstil von Olaf Scholz gehört ein einfaches Prinzip: Was im Wahlkampf versprochen wurde, wird Punkt für Punkt abgearbeitet - etwa die Abschaffung der Studiengebühren. "Und was ich nicht versprochen habe, hab ich nicht versprochen", hatte der Bürgermeister einst die zwei Pole seiner Politik definiert.

Mindestens ein weiteres Versprechen ist im Laufe seiner Amtszeit aber doch hinzugekommen. Mit Blick auf die Elbphilharmonie führte Scholz mehrfach aus, dass Mitglieder seines Senats niemals in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) behaupten würden, sie könnten sich nicht erinnern. Das war zum einen auf die Vorgängerregierung unter Ole von Beust (CDU) gemünzt, deren Mitglieder im aktuellen PUA auffallend oft partielle Gedächtnislücken geltend machten. Zum anderen demonstrierte Scholz damit in der für ihn typischen Art die Selbstgewissheit, schon das Richtige zu tun - nämlich das Konzerthaus mit Hochtief weiterzubauen.

Seit dieser Woche nun deutet einiges drauf hin, dass der Bürgermeister sein Versprechen wird einlösen müssen. Es war Oppositionsführer Dietrich Wersich (CDU), der Scholz in einer hitzigen Debatte im Rathaus zunächst vorwarf, die Bürger zu belügen, ihn dann aufforderte, mehr Details zur Entscheidung des Senats preiszugeben und mit der Drohung schloss, "sonst provozieren Sie doch geradezu einen neuen Untersuchungsausschuss".

Dazu muss man wissen, dass die Elbphilharmonie bereits in der vorigen Wahlperiode auf Antrag der damals oppositionellen SPD Gegenstand eines PUA war - dieser musste wegen der Wahl Anfang 2011 überhastet seine Arbeit einstellen. Nach der Wahl setzte die SPD einen zweiten PUA ein, der kürzlich seine Zeugenvernehmungen beendet hat - sein Bericht wird nach der Sommerpause erwartet. Beide durften jedoch nur den Zeitraum bis Ende 2008 beleuchten, als es mit dem Nachtrag 4 den letzten großen Kostensprung gegeben hatte. Gab es in diesem zweiten PUA die merkwürdige Rollenverdrehung, dass es vor allem die Regierungspartei (SPD) war, die Fehler im System der heutigen Opposition aufzudecken versuchte, könnte ein dritter Elbphilharmonie-Untersuchungsausschuss das wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Und die Aussicht, den amtierenden Bürgermeister als Zeugen in die Mangel zu nehmen, dürfte CDU, Grünen, FDP und Linkspartei verlockend erscheinen, zumal kurz vor der Bürgerschaftswahl Anfang 2015. "Das bietet natürlich eine Bühne", räumt ein Christdemokrat ein - zumal die CDU in einem neuen PUA turnusgemäß den Vorsitzenden stellen würde, der die Befragung leitet.

In allen Parteien wird allerdings brav betont, dass ein PUA nicht allein aus politisch-taktischen Gründen eingesetzt werden dürfe. Es müsse schon die berechtigte Annahme geben, dass der Senat etwas verschwiegen habe. Hier konzentriert sich die Opposition derzeit auf die Frage, warum die städtischen Einrichtungen das ganze zweite Halbjahr 2012 darauf hingearbeitet und auch empfohlen haben, Hochtief rauszuwerfen, Scholz dann aber im Dezember doch anders entschieden habe. Zusätzliche Brisanz erhält diese Frage dadurch, dass die Stadt im Gegenzug dafür, dass Hochtief sämtliche Risiken übernimmt, auf Forderungen von bis zu 244 Millionen Euro verzichtet.

Doch so berechtigt die Frage ist, ob Scholz nun ein gutes Geschäft abgeschlossen hat oder nicht, so seltsam wirkt die aktuelle Aufregung. Denn dass die Stadt ihrerseits Millionenforderungen aufgibt, stand stets in allen offiziellen Papieren. Ebenso, dass der Senat am Ende dem schnellen Weiterbau mit umfangreichen Garantien von Hochtief den Vorzug vor einem jahrelangen Prozess mit ungewissem Ausgang gegeben hat. Allenfalls die Summen sind neu, in der Höhe aber nicht überraschend. Dass vor allem Wersich den Ton dennoch immer weiter verschärft, von Lüge und Täuschung spricht, interpretieren viele Abgeordnete so, dass der CDU-Fraktionschef sich innerlich schon entschieden hat: Ablehnung der Neuordnung und Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Dafür braucht es ein Viertel der Abgeordnetenstimmen, also 31. Da die CDU 28 stellt, wäre sie nur auf die Hilfe einer weiteren Fraktion angewiesen - das dürfte kein Problem sein.

Allerdings begeistert diese Aussicht kaum einen Parlamentarier. Denn nach fast fünf Jahren, in denen immer ein bis zwei Untersuchungsausschüsse am Werk waren, macht sich eine gewisse PUA-Müdigkeit breit - schließlich kommen die Sitzungen auf das normale Pensum oben drauf und enden nicht selten erst kurz vor Mitternacht. "Bloß nicht", raunte daher ein Oppositionsabgeordneter nach Wersichs Rede. "Die Motivation ist schon äußerst gering", meinte ein anderer - wobei die Stimmen in allen Fraktionen ähnlich klingen und immer nachgeschoben wird, dass man einen Untersuchungsausschuss offiziell natürlich absolut sinnvoll fände.

Ohnehin ist die Entscheidung für oder gegen einen PUA davon abhängig, was der Senat bis zur Abstimmung in der Bürgerschaft am 19. Juni noch alles an Fakten liefert. So kamen am Freitag weitere Ordner im Rathaus an, und am Dienstag werden maßgebliche Akteure von Hochtief und der Stadt vom Haushaltsausschuss befragt. Das mache einen PUA doch überflüssig, meinte ein Sozialdemokrat: "Da sitzen dann ja schon die potenziellen Zeugen."