In einem Brief beklagen sich 67 Rektoren in deutlichen Worten über die Neubemessung der sozialen Belastung der einzelnen Standorte. “Die Folgen sind für die Kinder katastrophal.“

Es war ein Treffen in eher frostiger Atmosphäre, und es redete nur einer: Schulsenator Ties Rabe (SPD). Am Mittwoch hatten sich die Rektoren der 204 staatlichen Grundschulen im Landesinstitut für Lehrerbildung in Eimsbüttel zur Dienstversammlung eingefunden. Ein Pflichttermin - doch von Routine diesmal keine Spur.

Die Stimmung zwischen Schulleitern und Senator war angespannt, weil am Tag zuvor ein Brief von 67 Rektoren bekannt wurde. Darin beklagen sich die Pädagogen in deutlichen Worten über die Neubemessung der sozialen Belastung der einzelnen Standorte. Der sogenannte Sozialindex, in den auch Bildungsstand, Beruf und Sprachkenntnisse der Eltern einfließen, entscheidet in erheblichem Maße über die Personalausstattung der einzelnen Schulen. Die Rektoren glauben nicht, dass sich die soziale Lage etlicher Standorte verbessert hat und zweifeln die Methode der Berechnung an ("...lässt auf ein verfälschtes Ergebnis schließen"). Sie werfen Rabe vor, er wolle die Grundschulen schröpfen, um die Stadtteilschulen mit zusätzlichen Lehrerstellen zu stärken.

Rabes Reaktion fiel deutlich verschnupft aus. Inhaltlich wies er die Kritik in der Dienstversammlung zurück. Aber er war auch über den Ton des Schulleiter-Briefes empört, der ihn in Rechtfertigungszwang gegenüber der Öffentlichkeit gebracht habe. "Die Folgen sind für die Kinder katastrophal", steht in dem Brief zum Beispiel. Das ist eine schon ungewöhnlich drastische Wortwahl für Behörden-Mitarbeiter. Dennoch empfanden es manche Schulleiter durchaus als Zumutung, dass Rabe sie nur kritisierte und nicht mit ihnen diskutierte.

Die Szene im Landesinstitut ist symptomatisch für die derzeitige Lage in der Schulpolitik. Es gibt einen wachsenden Unmut gegenüber Rabe. In der Woche zuvor hatten die Schulleiter der 14 staatlichen Schulen in Wilhelmsburg und auf der Veddel die Vorschläge des Schulsenators zur Stärkung der Schulen in sozialen Brennpunkten als "ungenügend" zurückgewiesen. Auch das ist nicht eben Beamten-Florett, sondern mehr gewerkschaftlicher Degen.

Der Brandbrief dieser 14 Schulleiter hatte im Dezember eine Debatte losgetreten, die bis jetzt nachwirkt. Schonungslos hatten die Pädagogen die Lage auf der Elbinsel beschrieben, wo mehr als die Hälfte der Drittklässler den Lernstand von Erstklässlern habe. Diese Defizite, so die Schulleiter, seien während der gesamten Schulzeit nicht mehr aufzuholen. Rabes Vorschläge zur Problemlösung gingen den Wilhelmsburgern nun nicht weit genug.

Es ist eine etwas paradoxe Situation: Die Rahmenbedingungen für den Unterricht sind so gut wie nie. Die Lehrer-Schüler-Relation beträgt 1 : 12. Seit 2010 sind 1232 neue Stellen für Lehrer und Sozialpädagogen geschaffen worden. Die Klassen gerade der Grundschulen sind so klein wie nie zuvor: In sozialen Brennpunkten sind es nur 19 Kinder, im übrigen Stadtgebiet nicht mehr als 23.

Rabe präsentierte diese Zahlen am Donnerstag als eine Art Gegenoffensive zur Kritik aus dem eigenen Haus, die er mit Unverständnis und als ungerecht betrachtet. Sicher: Wenn die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft dem Senator angesichts der erheblichen Neueinstellungen "eine geschönte Erfolgsbilanz" vorwirft, dann fällt das in die Kategorie einer fast schon reflexhaften Kritik. Doch die Missstimmung bei Eltern, Lehrern und eben Schulleitern hat tiefere Ursachen. Und das liegt im Wesentlichen daran, dass Rabe auf zwei zentrale Probleme noch keine überzeugende Antwort gefunden hat.

Zum einen geht es um die Belastung vor allem der Stadtteilschulen durch die Inklusion. Es sind in erster Linie Kinder mit Defiziten in den Bereichen Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung, die an einer allgemeinen statt an einer Sonderschule angemeldet werden. Deren Zahl ist auf wundersame Weise sprunghaft angestiegen, seit das Recht auf Inklusion im Schulgesetz 2010 verankert wurde.

Rabe hat nun ein System pauschaler Zuweisungen von Sonder- und Sozialpädagogen für die einzelnen Schulen installiert, unabhängig davon, wie viele Inklusionskinder konkret angemeldet werden. Für den Senator sind die Diagnosen, die den sonderpädagogischen Förderbedarf attestieren, nicht "qualitätsgesichert". Das heißt nichts anderes, als dass Rabe den Expertisen zu einem erheblichen Teil keinen Glauben schenkt. Er mag mit der Einschätzung sogar Recht haben, dass Kindern, die früher einfach als lebhaft und unbeherrscht galten, heute schneller das Etikett "sozialer und emotionaler Defizite" umgehängt wird. Deswegen bedarf es dringend verlässlicher Kriterien, wer als Sonderschüler gilt und wer nicht. Rabe lässt Vorschläge dazu bis zu den Sommerferien erarbeiten. Bis dahin soll auch das System der Ressourcenzuweisung überprüft werden.

Der zweite Konflikt betrifft die Stadtteilschulen in ihrer Struktur. Neben starken Standorten, die gut gegenüber ihren gymnasialen Konkurrenten bestehen können, gibt es eindeutige Problemfälle. Rund ein Viertel der 57 Stadtteilschulen kämpft mit zu niedrigen Anmeldezahlen und noch mehr Standorte werden kaum von Kindern mit Gymnasialempfehlung besucht. Hier häufen sich die Problemlagen - nicht nur in Wilhelmsburg und auf der Veddel. "Es gibt keine heterogenere Schulform als die Stadtteilschule in Hamburg", sagte Rabe in dieser Woche völlig zu recht. Von der Frage, ob es gelingt, diese schwierigen Standorte zu erfolgreichen und von Eltern akzeptierten Schulen zu entwickeln, könnte das Schicksal der zweiten Säule des Schulsystems abhängen.

"Unterrichtsentwicklung ist ein schwieriger, langer Weg, aber alle Schulen sind dabei", sagte Landesschulrat Norbert Rosenboom in dieser Woche mit Blick auf die problematischen Stadtteilschulen. Bis erste Erfolge zu sehen sein, dauere es mindestens vier Jahre. So viel Zeit hat Rabe nicht. Schon in zwei Jahren wird neu gewählt.