Abgeordneten vorzuhalten, sie würden die Regierungspolitik nur “abnicken“, statt sie kritisch zu kontrollieren, heißt sie bei der Ehre zu packen. Das kommt kurz vor der Beleidigung als “Stimmvieh“.

Abnicken, durchwinken - harmlose Worte eigentlich. In der politischen Arena gelten sie jedoch als schwerer Vorwurf. Abgeordneten vorzuhalten, sie würden die Regierungspolitik nur "abnicken", statt sie kritisch zu kontrollieren, heißt sie bei der Ehre zu packen. Das kommt kurz vor der Beleidigung als "Stimmvieh".

Zu Zeiten von Ole von Beust wurde die CDU-Fraktion häufig als "Abnickverein" verspottet - mal mehr, mal weniger berechtigt. Jedenfalls war die Neigung gering, die Politik des extrem beliebten Bürgermeisters infrage zu stellen - sogar dessen Hinwendung zur Primarschule wurde geschluckt. Viele Christdemokraten sehen darin bis heute den entscheidenden Fehler, der das Ende ihrer Regierungszeit einläutete. Umso genüsslicher titulieren sie und andere Oppositionspolitiker nun die SPD-Fraktion als Abnickverein des Senats. Erst am Mittwoch echauffierten sich CDU, Grüne, FDP und Linkspartei über die zögerliche Vorlage der Elbphilharmonie-Akten, und Norbert Hackbusch (Linke) äußerte die Sorge, die 200-Millionen-Kostensteigerung drohe "ohne Diskussion von der SPD-Mehrheit durchgewinkt zu werden".

Tatsache ist, dass die Genossen heute in einer ähnlichen Situation sind wie die CDU von 2004 bis 2008: ein beliebter, unumstrittener Bürgermeister, eine absolute Mehrheit in der Bürgerschaft, dazu glänzende Umfragewerte - eine komfortable Situation, die man ungern gefährdet. "Nichts wäre schlimmer, als den Eindruck eines zerstrittenen Haufens zu erwecken", sagt denn auch ein Sozialdemokrat. Zumal CDU und FDP diese Bühne bislang glänzend bespielen. Doch auch wenn die Fraktion weit davon entfernt ist, die Revolution auszurufen, gibt es sehr wohl Reibung mit dem Senat, und zuletzt wurde das auch mehrfach öffentlich.

Handfesten Ärger gab es diese Woche zum Beispiel um ein Wohnheim für Auszubildende (Bericht auf dieser Seite). Jan Balcke, der Wirtschaftsexperte der SPD-Fraktion, lehnte die Pläne von Sozialsenator Detlef Scheele ab und kritisierte seinen Parteifreund öffentlich dafür, dass dieser nicht im Wirtschaftsausschuss war, als das Thema debattiert wurde. Allerdings betonen andere Abgeordnete, dass Balcke nicht die Meinung der Gesamtfraktion vertrete.

Kakofonie innerhalb des Regierungslagers gab es jüngst auch in Sachen HSH Nordbank. Kaum hatte der Senat gemeinsam mit Schleswig-Holstein verkündet, die Erhöhung der Garantie auf zehn Milliarden Euro "ohne private Beteiligung" durchzuziehen, meldete sich SPD-Finanzexperte Jan Quast zu Wort: Man müsse "genau abwägen", ob eine private Beteiligung sinnvoll sei. Gemeint war das zwar als Aufforderung an den Senat, eine schlüssige Begründung für das Vorgehen vorzulegen, es wirkte aber wie ein Dissens.

Auch das Ende März beschlossene neue Denkmalschutzgesetz war eine schwere Geburt. Über den Entwurf von Kultursenatorin Barbara Kisseler hatte SPD-Fraktionschef Andreas Dressel persönlich gesagt, der werde so nicht beschlossen - tatsächlich wurde er dann überarbeitet. Mächtig Ärger gab es auch um die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße: Als bekannt wurde, dass der Senat das Votum eines eigens dafür gegründeten Gremiums ignoriert hatte, forderte der Wilhelmsburger Abgeordnete Metin Hakverdi die Regierung öffentlich auf, diese Stellungnahme zu berücksichtigen. Im Ergebnis beschloss die Bürgerschaft eher zum Leidwesen von Verkehrssenator Frank Horch (parteilos) einen Antrag, der Senat solle seine Pläne erneut überprüfen. Derweil liegt Hakverdi wieder im Clinch mit dem Senat: Die Pläne der Kulturbehörde, den neuen Opernfundus auf dem Gelände der historischen Zinnwerke zu errichten und dafür Künstler und Gewerbebetriebe umzusiedeln, sieht er sehr kritisch - und mit ihm viele SPD-Abgeordnete. Dieser Fall ist typisch: 37 der 62 SPD-Parlamentarier sind direkt gewählte Wahlkreis-Abgeordnete. Sie fühlen sich vor allem dem Wohl ihres Stadtteils verpflichtet, und manch einer wünscht sich, der Senat würde darauf etwas mehr Rücksicht nehmen. "Umgekehrt muss ich ja auch vor Ort die SPD-Politik erklären", sagt ein Fraktionsmitglied. Das bietet reichlich Nährboden für Konflikte - übrigens auch umgekehrt, wenn Abgeordnete aus Senatssicht gesamthamburgische Interessen aus dem Blick verlieren.

Hinzu kommt, dass der große Wahlerfolg viele unerfahrene Parteimitglieder ins Parlament gespült hat, denen es zunächst an Fachwissen, Kenntnis der Abläufe und dem nötigen Standing für eigene Initiativen fehlte. Das hat sich spürbar geändert, die Einarbeitungszeit ist vorbei, Sicherheit und Selbstbewusstsein nehmen zu. "Wir sind in der zweiten Halbzeit, da wird der Ton ein anderer", sagt ein Fraktionsmitglied.

Der "Chef" sieht das etwas anders. "Wir waren immer selbstbewusst", sagt Dressel. "Ich will auch keine Fraktion von Jasagern und Abnickern." So habe es auch in der ersten Hälfte der Wahlperiode mehrere erfolgreiche Vorstöße der Fraktion gegeben, etwa für den Infrastruktur-Sanierungsfonds über 50 Millionen Euro. "Wir tragen den Senat", so Dressel, "wollen aber auch eigene Akzente setzen." Eine Gelegenheit dazu steht schon vor der Tür: Demnächst muss entschieden werden, wer der Chef der neuen Investitions- und Förderband wird. Der Senat wird wohl den bisherigen Vorstand der Wohnungsbaukreditanstalt, Ralf Sommer, vorschlagen. In der Fraktion gibt es dazu auch andere Vorstellungen ...