Bürgermeister trifft in Brasilien ein und betont die wachsende Bedeutung des Landes, dessen Wirtschaft überdurchschnittlich wächst. Die soziale Spaltung ist nach wie vor ein ungelöstes Problem in Brasilien.

São Paulo. Man kann Bürgermeister Olaf Scholz alles Mögliche nachsagen, eines aber sicher nicht: einen übermäßigen Hang zum Müßiggang. Wurde einer seiner Vorgänger noch als Di-Mi-Do-Bürgermeister verspottet, weil er angeblich viel von langen Wochenenden hielt, ist Scholz eher ein So-So-Bürgermeister, einer der von Sonntag bis Sonntag durcharbeitet. Pausen liegen ihm offenbar nicht sonderlich. So setzte sich der Hamburger Senatschef denn auch direkt nach dem Augsburger SPD-Bundesparteitag am Sonntag in München in einen Flieger nach São Paulo, wo er am Montag um fünf Uhr früh ankam - in Begleitung von Staatsrat Wolfgang Schmidt.

Sofort erhöhte sich auch für die Hamburger Wirtschafts- und Wissenschafts-Delegation die Schlagzahl, die nach ihrer Ankunft am Sonntag noch einen eher ruhigen Tag mit einer Stadtrundfahrt durch das graue und wenig ansehnliche São Paulo verbracht hatte (wir berichteten). Nach Check-in im Sheraton Hotel WTC ging es für Scholz und Co am Montagfrüh zur Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer, wo sich der Bürgermeister und seine Begleiter über die aktuelle wirtschaftliche und politische Lage des fünftgrößten Landes der Erde informieren ließen.

Brasilien gehört zur Gruppe der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), denen großes Wachstumspotenzial attestiert wird. Die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 2014 und der Olympischen Spiele in Rio 2016 haben die Aufbruchsstimmung noch weiter verstärkt. Dennoch ist die Wirtschaft des Landes zuletzt nur noch deutlich schwächer gewachsen als erhofft. Zugleich sorgt eine landesweite Korruptionsaffäre für Aufruhr, der sogenannte Mensalão-Skandal, in den auch der frühere Präsident Lula da Silva verwickelt ist.

Die eklatante soziale Spaltung, das lässt sich auch in São Paulo schnell feststellen, ist nach wie vor ein ungelöstes Problem in Brasilien. Während in den Villenstadtteilen die Lamborghinis in den Schaufenstern stehen, hausen in den armen Vierteln Tausende von Menschen auf der Straße. Die schwarz-weiß-rote Flagge São Paulos, die auch sinnbildlich für das Miteinander der hier beheimateten ethnischen Gruppen stehen soll, weht in den heruntergekommenen Bezirken im Zentrum an vielen Stellen nur noch als Fetzen im Nieselregen.

Dem Wachstum des Hafens Santos, rund 75 Kilometer südöstlich von São Paulo, haben all diese Probleme bisher nichts anhaben können. Santos ist der größte Hafen Lateinamerikas. Im Jahre 2010 wurden hier 96 Millionen Tonnen an Waren umgeschlagen (in Hamburg waren es im selben Jahr 121 Millionen Tonnen). Gegenüber 2009 wuchs der Umschlag in Santos um mehr als 15 Prozent. Der Containerumschlag nahm im selben Zeitraum sogar um fast 20 Prozent auf 2,7 Millionen TEU zu.

"Wir haben es hier mit einer deutlich größeren Dynamik als im Chinahandel zu tun", sagte HHLA-Vorstand Klaus-Dieter Peters dem Abendblatt.

Am Montagmittag trafen der Hamburger Bürgermeister und seine Begleiter in Santos mit dem Leiter des hiesigen Büros der Reederei Hamburg-Süd und Vertretern des Hafens Santos zusammen. "Zwischen Brasilien und Deutschland liegt ein ziemlich großer Ozean, den wir als trennendes Gewässer betrachten können - oder als Brücke für den Seeverkehr zwischen unseren Ländern", sagte Scholz laut Redemanuskript in einem Grußwort bei einem Mittagessen in Santos. "Es wird Sie vermutlich nicht überraschen, dass ich die zweite Sichtweise bevorzuge." Scholz betonte in seiner Ansprache, dass gerade die Begeisterung für ihre Häfen Santos und Hamburg verbinde - zusätzlich zu den mehr als 1000 deutschen Firmen, die in dieser brasilianischen Region aktiv seien. Auch nach einer gerade vorgestellten Potenzialanalyse der Hamburg Port Authority (HPA) zum Transport und Logistikmarkt Brasilien wird Südamerika für Hamburg immer wichtiger. "Brasilien kann eines der zentralen Länder für Wachstum im Hafenumschlag in den kommenden Jahren sein", heißt es dort. Dementsprechend fordert der ebenfalls mitgereiste HPA-Chef Jens Meier stärkere Anstrengungen Hamburgs. In dem HPA-Bericht wird etwa eine Hafenkooperation mit Santos angeregt. Auch die bereits in den 1990er-Jahren in Aussicht gestellte Einrichtung einer Repräsentanz in Brasilien müsse endlich umgesetzt werden.

Am Montagnachmittag stand eine Hafenrundfahrt auf dem Programm, danach ein Hafen-Abend im Club Transatlántico in São Paulo. Am heutigen Dienstag wollen Vertreter des Handelskammer ein Kooperationsabkommen mit der Fundação Getulio Vargas schließen, einer privaten Forschungsstiftung für Wirtschaft und Politik. Dabei geht es um den Austausch von Studenten. Zudem stehen Besuche beim ITA-Forschungscampus und dem großen brasilianischen Flugzeugbauer Embraer auf dem Programm.