Antje Möller hat alles erlebt: Rot-Grün, Schwarz-Grün und wieder Opposition. Olaf Scholz könnte als Kronzeuge in Anspruch genommen werden.

Es war ein eher leiser Rückzug - ohne Ankündigung oder kräftige Begleitmusik. Das hätte Antje Möller, der ein auftrumpfender, auf öffentliche Wirkung setzender Politikstil fremd ist, auch nicht gelegen: Die dienstälteste Bürgerschaftsabgeordnete der Grünen hat sich aus der ersten Reihe der Fraktion verabschiedet. Möller kandidierte bei den Vorstandswahlen am Montag nicht erneut als parlamentarische Geschäftsführerin und ist nun einfache Abgeordnete mit den Schwerpunkten Innere Sicherheit und Migration.

Natürlich ist es ein Generationswechsel: Die neue Mann an der Spitze neben dem wiedergewählten Fraktionschef Jens Kerstan und Stellvertreterin Anja Hajduk ist Anjes Tjarks, gerade einmal 31 Jahre alt und seit zwei Jahren Abgeordneter. Tjarks, promovierter Politologe und Lehrer, hat sich als forscher Oppositionspolitiker in den Bereichen Wirtschaft, Hafen und Mieten profiliert. Er zählt zu den jungen Partei-Aktiven mit einem pragmatischen, ideologiefernen Politikansatz. Sie kennen die "innergrünen" Grabenkämpfe mit den persönlichen Zerwürfnissen und Feindschaften, die Abspaltungen und Neugruppierungen nur aus Erzählungen.

Als Antje Möller erstmals 1993 in die Bürgerschaft gewählt wurde, stand die Grün-Alternative Liste oder kurz GAL, wie der Grünen-Landesverband damals hieß, noch ganz unter dem Zeichen der erbitterten Flügelkämpfe. "Fundis" und "Realos" belauerten einander nicht zuletzt bei der Aufstellung der Liste der Bürgerschaftskandidaten. Wenige Jahre zuvor hatten die Realos um den Verfassungsexperten Martin Schmidt und den späteren Stadtentwicklungssenator Willfried Maier die Partei sogar aus Protest gegen die Dominanz der Fundamentalisten verlassen. Nach ihrer Rückkehr hatten sich die Mehrheitsverhältnisse zwar umgekehrt, aber die Spannungen dauerten an. Zwischen Fundis und Realos gab es eine kleine Gruppierung, die sich mit feinem Sinn für Ironie "Zwischen allen Stühlen" (ZAS) nannte und im Zweifel links war. Die prominenteste Vertreterin: Antje Möller.

Damals waren die Grünen für ihre scheinbar endlosen Grundsatzdebatten berüchtigt, die ein Klärungsprozess waren, wenn alles gut lief. Das ist der Hintergrund, wenn Möller über die heutige Grünen-Fraktion sagt, es werde ihr "zu wenig inhaltlich diskutiert". Ihr geht es dabei weniger um Tagespolitik als um die inhaltliche Profilierung und künftige Ausrichtung. Wo es früher langfristige Strategiediskussionen gab, sieht die Grüne heute Abgeordnete, die zuerst auf die Wirkung ihres Handelns im eigenen Wahlkreis achten.

Möller war 14 Jahre lang in Spitzenpositionen der Fraktion tätig und hat alle Phasen der politischen Beteiligung durchlebt: Rot-Grün, Schwarz-Grün und immer wieder Opposition. "Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für mich, um spannende berufliche Aufgaben zusätzlich zur Abgeordnetentätigkeit zu entdecken", begründet die 56-Jährige ihren Rückzug aus der ersten Reihe.

Wahr ist aber auch, dass es Überlegungen zu einem Wechsel auch in Fraktion und Partei gab. Manch Grünem gilt die erfahrene und sehr abwägende Abgeordnete als etwas sperrig. Da war zum Beispiel die Sache mit der Umbenennung. Mit großer Mehrheit beschloss die Mitgliederversammlung vor einem Jahr die Angleichung an den Namen der Bundespartei, also schlicht Grüne. Möller war für die Beibehaltung der Bezeichnung Grün-Alternative Liste, in der sich für sie das historische Selbstverständnis der Partei ausdrückt. Niemand nahm der parlamentarischen Geschäftsführerin ihre Meinung übel, wohl aber es gab Kritik daran, dass die Fraktion auf Drängen Möllers die Umbenennung noch einmal ausführlich diskutieren wollte und erst Monate später vollzog. Es war also ein wenig einsam um Möller geworden, der die "Tageszeitung" zutreffend den Ehrentitel "Die letzte Linke" verpasst hat, was Möller nicht als Beleidigung versteht.

Der Drang nach personeller Erneuerung an der Spitze der Fraktion war in der Partei auch deswegen groß, weil absehbar ist, dass Fraktionsvize Anja Hajduk nach der Bundestagswahl nach Berlin wechseln wird. Hajduk gilt als diejenige, die in erster Linie für die nicht immer einfache Kommunikation zwischen Landesvorstand und Fraktion sorgt. Darum wird sich nun verstärkt Anjes Tjarks kümmern, der als früherer Parteivize einen guten Draht zum Landesvorstand hat.

Bislang noch hinter verschlossenen Türen wird bei den Grünen längst die Diskussion über die strategische Ausrichtung der Partei zur nächsten Bürgerschaftswahl 2015 geführt. Dabei sind Fraktions- und Parteispitze durchaus nicht immer einer Meinung. Im Landesverband wird Fraktionschef Jens Kerstan zugute gehalten, dass er wirkungsvolle Attacken gegen den SPD-geführten Senat reitet. Das gilt besonders für die Mega-Themen HSH Nordbank, Elbphilharmonie, Hapag-Lloyd oder Elbvertiefung. "Wir sind eine solide, aktive und schlagfertige Opposition", so sieht es Kerstan selbst. Daneben kommt aber nach Ansicht mancher Kritiker das Konzeptionelle zu kurz. So forderte Vorstandsmitglied Katja Husen auf dem Kleinen Parteitag in der vergangenen Woche ein Konzept der Fraktion für die Energiewende. Die Grünen müssten konkret sagen, welches Kraftwerk sie wo bauen wollten. Andere finden, die Grünen sollten sich mit Alternativvorschlägen in die laufende Architekturdebatte einschalten, die die Veränderung des Stadtbilds zum Gegenstand hat.

Als Kronzeuge kann bei den Grünen nun ausgerechnet der politische Gegner, Bürgermeister Olaf Scholz, in Anspruch genommen werden. "Ich glaube, dass man sich als Partei, die Grüne heißt, nicht mit dem eigenen Namen zufriedengeben darf", sagte der Sozialdemokrat in der Bürgerschaftsdebatte über die Halbzeitbilanz des Senats Ende Februar. "Es ist notwendig, auch konkrete Visionen und Vorstellungen für die Zukunft zu haben, die nicht nur die Anforderung formulieren, sondern auch eine Einlösung beinhalten", schrieb Scholz den Grünen ins Stammbuch. Manch einem sprach er vermutlich aus der grünen Seele.

Auch Kerstan sieht es so, dass in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode erarbeitet werden müsse, wofür die Grünen gewählt werden wollen. Im April ziehen sich die 14 Abgeordneten zur Fraktionsklausur zurück, um Strategien zu entwickeln. Dann geht es wohl nicht nur um Attacken, sondern auch um Alternativen und Konzepte.