In Hinblick auf direkte Demokratie liegt Hamburg im Ländervergleich zwar weit vorn, doch innerhalb der Parteien könnten Mitglieder noch mehr Rechte bekommen.

Der Blankeneser Unternehmer Dirk Ahlers kann für sich in Anspruch nehmen, was nur wenige können: Er hat die gleiche Reform in zwei unterschiedlichen Parteien aufs Gleis gesetzt. Der 76 Jahre alte Ahlers, bis 2006 Christdemokrat, ist Initiator des FDP-Mitgliederentscheids zur Abschaffung des Delegiertenprinzips bei Parteitagen, der am Dienstag erfolgreich abgeschlossen wurde. Nach dem Willen der FDP-Basis sollen Landesvorstand, Bundestags- und Bürgerschaftskandidaten künftig von Mitgliederversammlungen, an dem jedes der 1094 FDP-Mitglieder teilnehmen kann, nominiert werden.

Vor neun Jahren war der damalige stellvertretende Blankeneser CDU-Vorsitzende Ahlers mit einem Vorstoß zu mehr innerparteilicher Demokratie auf dem Unions-Landesparteitag gescheitert. Damals ging es um mehr Einflussnahme der Mitglieder bei der Aufstellung der Bürgerschaftskandidaten. Aus Frust über das Nein der Parteifunktionäre (und auch weil die CDU den Volksentscheid zur Einführung von Wahlkreisen mit ihrer Bürgerschafts-Mehrheit wieder verändern wollte) warf Ahlers die Brocken hin und heuerte wenig später bei den Liberalen an.

Es ist ein verblüffender Gegensatz: Hamburg zählt zu den Bundesländern, die in Sachen direkter Demokratie weit vorn liegen. Die Möglichkeit, abseits von Wahltagen in Einzelfragen direkten politischen Einfluss auszuüben, ist hier weit entwickelt. Und die Hamburger machen von Bürgerentscheiden auf Bezirksebene sowie landesweiten Volksentscheiden rege Gebrauch. Doch bei Reformen zu mehr Mitbestimmung innerhalb der Parteien wirken die Beharrungskräfte sehr stark.

Auch in der FDP ist es noch nicht ausgemacht, dass die Ahlers-Reform tatsächlich umgesetzt wird. Das letzte Wort haben die 121 Landesparteitags-Delegierten, die sich mit Zweidrittelmehrheit gewissermaßen selbst abschaffen müssten. Die Reaktion von Katja Suding, der Bürgerschafts-Fraktionschefin der Liberalen, auf den Mitgliederentscheid fiel jedenfalls recht schmallippig aus: "Das Ergebnis wird in den Gremien und vor allem auf dem Landesparteitag zu besprechen und zu entscheiden sein." Da schimmert das Nein zur Reform geradezu durch.

Es ist in erster Linie die Sorge vor zufälligen (oder auch unerwünschten) Mehrheiten auf Mitgliederversammlungen, die den Funktionären Kopfzerbrechen bereitet. Als wahrscheinlich gilt in der FDP derzeit, dass der Parteitag Rahmenbedingungen wie zum Beispiel ein vorgeschriebenes Mindestteilnahme-Quorum formuliert, ohne das eine Mitgliederversammlung nicht beschlussfähig ist. Das Votum der Basis ganz zu kippen, werden sich die Partei-Granden wohl nicht trauen.

Die CDU ist da schon weiter: Die Direktkandidaten für die Bundestagswahl sind in Wahlkreis-Mitgliederversammlungen aufgestellt worden. Und im CDU-Kreisverband Altona entscheiden die Mitglieder seit den Zeiten von Dirk Ahlers und seinen Mitstreitern auch, wer den Kreisverband führt.

Die Gründe für die Einführung von Mitgliederversammlungen und den Ausbau der Mitgliederrechte sind immer gleich: Parteien erhoffen sich davon, dass sie attraktiver gerade für junge Leute werden, die Sacharbeit auf eine breitere Basis gestellt und Personalentscheidungen transparenter werden. Vorbild sind die Grünen, seit deren Gründung die Landesmitgliederversammlung in Hamburg das oberste Beschlussorgan ist.

Wie bei den Grünen fordert eine Gruppe von Parteireformern um den Bürgerschaftsabgeordneten Robert Heinemann auch bei der CDU die Abschaffung des Delegiertenprinzips und Einführung von Landesmitgliederversammlungen. Wohl nicht zufällig stammt Heinemann aus dem basisdemokratischen CDU-Kreisverband Altona, wo sein Vorschlag auf offene Ohren trifft. Doch in anderen Kreisverbänden wie zum Beispiel Wandsbek sieht das völlig anders aus. Heinemann will noch viel mehr Partei-Zöpfe abschneiden. Dazu zählt eine Strukturreform, bei der die mächtigen sieben Kreisverbände auf der Strecke bleiben und die 53, zum Teil sehr kleinen Ortsverbände auf 17 größere Einheiten reduziert werden sollen. Das ist das Bohren dicker Bretter, und Heinemann, der sich bislang mit kleinen Reformerfolgen zufrieden geben musste, weiß das. Er sagt: "Wenn wir in fünf Jahren ein gutes Stück weiter sind, bin ich froh."

Merkwürdig unbeeindruckt von allen Reformüberlegungen ist nur eine Partei: die SPD. Die Sozialdemokraten, die strikt am Delegierten-System festhalten, kennen zwar das Instrument der Mitgliederbefragung, aber es hat keine bindende Wirkung. Vielleicht liegt es ja zudem an den schlechten Erfahrungen der Partei, dass die direkte Demokratie bei der SPD ein wenig aus der Mode gekommen ist.

Im Februar 2007 waren alle Sozialdemokraten aufgerufen, den Spitzenkandidaten für die Bürgerschaftswahl 2008 zu küren: Zur Wahl standen der damalige Parteichef Mathias Petersen und die heutige Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeldt. Bei der Auszählung fehlten plötzlich rund 1000 Stimmen - die Abstimmung wurde annulliert. Die Kandidaten verzichteten. Der nie aufgeklärte "Stimmenklau" erschütterte die Partei auf Jahre.

Später stellte sich heraus, dass Petersen uneinholbar vorn gelegen hatte. Aber statt ihm trat Ex-Kulturstaatsminister Michael Naumann an (und verlor). Petersen war um die Kandidatur gebracht worden. Das war nicht gerade Werbung für mehr Basisdemokratie.