Mit speziell entwickelten Fragebögen soll in der Hansestadt künftig schon vor der Geburt ermittelt werden, ob eine Familie Hilfe braucht.

Hamburg. Die Hansestadt will Familien mit Kindern früher erreichen und unterstützen. Mit speziell entwickelten Fragebögen soll künftig schon vor der Geburt ermittelt werden, ob eine Familie aus sozialen, psychischen oder gesundheitlichen Gründen Hilfe bei der Betreuung und Erziehung des Kindes benötigt. Befragt werden sämtliche rund 19.700 Frauen, die im Jahr in einer der zwölf Hamburger Geburtskliniken oder einem Hamburger Geburtshaus ein Kind zur Welt bringen.

Sehen die Klinikmitarbeiter, die die Bögen anhand eines Gesprächs mit den werdenden Müttern ausfüllen, ein Risiko oder Hilfebedarf, vermitteln sie die Betroffenen an 16 sogenannte regionale Familienteams aus Familienhebammen, Kinderkrankenschwestern und Sozialpädagogen, die in den Stadtteilen ausgebaut werden. Droht sogar Gefahr für das Kindeswohl, wird das Jugendamt eingeschaltet. Das Projekt "Babylotsen Hamburg" und der Aufbau der Familienteams sind Kern eines neuen Landeskonzepts "Frühe Hilfen", das Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks und Sozialsenator Detlef Scheele (beide SPD) am Dienstag gemeinsam vorstellten.

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"Mit dem Ausbau der frühen Hilfen wollen wir alle Hamburger Familien mit Neugeborenen erreichen und Problemlagen erkennen, bevor diese eskalieren und sich verfestigen", sagte Scheele. Bei der bürgerschaftlichen Beratung von Fällen, in denen Kinder in den vergangenen Jahren extrem vernachlässigt wurden oder sogar starben, habe man gesehen, so Scheele, "dass das Schicksal mancher Kinder schon vor der Geburt entschieden ist", weil sie in Familien aufwachsen müssten, die man eigentlich keinen Tag mit einem Kind allein lassen sollte. "Wir können mit diesen Instrumenten die Familien lückenlos erfassen und ihnen gegebenenfalls Hilfe anbieten", ergänzte Prüfer-Storcks. Dennoch handele es sich nicht um eine Zwangsberatung, betonten beide Senatoren. Ziel sei es, Kinder aus bildungsfernen Familien, in denen vielleicht kein Deutsch gesprochen wird, möglichst früh an Hilfsangebote wie Mütter-Kind-Zentren heranzuführen, die dann beispielsweise auch Krippenplätze vermittelten.

Gute Erfahrungen mit den "Babylotsen" hat man schon in einem zweijährigen Modellversuch am Marienkrankenhaus und am AK Wandsbek gemacht. "Wir bedrängen die Frauen nicht, aber im Gespräch zeigt sich schnell, wenn sie Hilfe benötigen", sagt Nicole Jähnig von der Stiftung SeeYou, die das Projekt ins Leben gerufen hat. Viele Mütter seien dankbar für das Angebot, weil es ihnen schwerfalle, von sich aus um Hilfe zu bitten - diese Schwelle sei oftmals zu hoch. In dem Fragebogen wird nach Risikofaktoren wie einem sehr jungen Alter der Mutter, wenig Schwangerschaftsvorsorgen, hohem Zigarettenkonsum gefragt, aber auch nach Hinweisen auf Sucht, psychische Störungen oder Belastungen und sozialen oder wirtschaftlichen Problemen der Eltern. Anhand einer Punktzahl soll sich ein Gesamtbild der Gefährdung zusammenfügen. "Von den Betroffenen wird die Befragung nicht als Kontrolle, sondern als Sich-Kümmern empfunden, das sich in die Fürsorge rund um die Geburt einfügt", so Prüfer-Storcks.

Die Beteiligung war beim Pilotprojekt gut, sie lag am Ende bei 95 Prozent. Bei rund 15 Prozent der Familien wurde ein Unterstützungsbedarf festgestellt. Auf ganz Hamburg übertragen wären das 2700 Familien. Das Hilfesystem soll durch die Weiterentwicklung der regionalen Netzwerke ausgebaut werden, in denen Fachleute aus dem Gesundheitsbereich, der Familienförderung und der Jugendhilfe verbindlich zusammenarbeiten. In den Bezirken werden hierzu sogenannte Netzwerkkoordinatoren ernannt. Alle Beteiligten sollen verstärkt darauf hinwirken, dass die medizinischen Vorsorgeuntersuchungen im Kindesalter auch wahrgenommen werden. Das verbindliche Einladungswesen zu den U-Untersuchungen, an deren Erfolg es zuletzt auch bei Fachleuten der Behörde Zweifel gegeben hatte, werde optimiert, kündigte Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks an.

Für den Ausbau der frühen Hilfen stehen in diesem Jahr vom Bund 1,14 Millionen Euro (2014: 1,3 Millionen Euro) und aus dem Etat der Gesundheitsbehörde noch einmal 1,8 Millionen Euro zur Verfügung. Das Budget für die Familienhebammen werde auf diese Weise von 760.000 Euro auf 1,28 Millionen Euro aufgestockt.

Die FDP-Fraktion in der Bürgerschaft begrüßte den Ausbau früher Familienhilfen, warnte aber davor, Familien grundsätzlich unter Generalverdacht zu stellen. "Sinnvolle Hilfsangebote dürfen nicht zu einer Totalüberwachung führen", sagte der familienpolitische Sprecher Finn Ole Ritter. Seine Fraktion werde einen genauen Blick auf die Umsetzung werfen. Auch die Grünen bejahen das neue Rahmenkonzept, haben aber Zweifel an der Wirksamkeit des verbindlichen Einlade- und Meldewesens für die U-Untersuchungen.