Bürgermeister Olaf Scholz will in diesen Tagen entscheiden, ob die Stadt Hochtief rauswirft oder nicht. Viel teurer wird es so oder so.

Hamburg. Manchmal ist die Wahrheit ganz einfach. Mit Blick auf die Elbphilharmonie wurde im Rathaus zum Beispiel der schöne Spruch geprägt: "Die Wahrheit liegt auf der Baustelle." Was so viel bedeutet wie: Solange gebaut und nicht gestritten wird, ist alles gut. Ganz einfach.

Aber manchmal versteckt sie sich, die Wahrheit. Zum Beispiel hinter Zahlenkolonnen im Doppelhaushalt 2013/2014 des Senats, genau gesagt im Einzelplan 9.2, Kapitel 9890, Titel 791.06. Unter der schwammigen Überschrift "Rückstellungen für noch zu konkretisierende Investitionsmaßnahmen" werden dort enorme Summen zurückgestellt, insgesamt 180 Millionen Euro bis 2014. Und es gibt Haushaltspolitiker, auch der regierenden SPD, die fest davon überzeugt sind, dass sich dort die Wahrheit über die Zukunft der Elbphilharmonie ablesen lässt. "Wer den Plan richtig liest, dem fällt dieser dicke Brocken doch sofort auf", sagt ein Sozialdemokrat. Die Stadt werde sich mit dem Baukonzern Hochtief einigen, und in Titel 791.06 liege das Geld, mit dem diese Einigung bezahlt werden muss.

Das ist eine Vorhersage. Eine andere ist, dass Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) Hochtief vor die Tür setzen und verkünden wird, dass die Stadt die Elbphilharmonie in Eigenregie zu Ende bauen wird. Die beiden Theorien schließen sich nicht einmal aus. Denn auch ohne Hochtief wird es für die Stadt sehr, sehr viel teurer als bislang kalkuliert. Sicher ist nur eines: Bis Weihnachten will Scholz seine Entscheidung getroffen haben, das hat er mehrfach betont. In Anbetracht der Tatsache, dass er am Wochenende in den Urlaub fliegen will, wird damit gerechnet, dass Scholz sich bis Ende dieser Woche erklären wird - wobei sein Umfeld stets betont, der Bürgermeister lasse sich nicht von Urlaubsplänen unter Druck setzen.

Klar ist aber auch: Selbst einem Macher wie Scholz bereitet diese Entscheidung Unbehagen. "Keine der Lösungen ist ideal", sagte Scholz kürzlich im Abendblatt-Interview. "Sowohl die Kündigung der Verträge mit Hochtief als auch die Fortsetzung der Zusammenarbeit hat viele komplizierte Folgen." Aber warum ist das eigentlich so? Warum kann die Stadt den Konzern nicht einfach vor die Tür setzen und mit anderen Firmen weiterarbeiten? Warum können sich Stadt und Hochtief nicht mal eben so einigen?

Antworten auf beide Fragen finden sich im "Organisationsmodell für Bau und Betrieb der Elbphilharmonie", eine offizielle Darstellung des damaligen CDU-Senats aus 2006. Zu sehen sind 31 Vierecke und Ellipsen, die alle für einen Akteur oder einen Auftrag stehen und als Gesamtkunstwerk einer Flotte Raumschiffe ähneln. Wer dieses noch nicht einmal vollständige Beziehungsgeflecht etwas studiert, der ahnt, warum "Krieg der Sterne" ein Kindergeburtstag ist gegen das, was sich bei der Elbphilharmonie abspielt.

Zwar finden die Verhandlungen in der Endphase ausschließlich zwischen Bürgermeister Scholz und dem spanischen Hochtief-Chef Marcelino Fernandez Verdes statt. "Das ist jetzt eine Sache unter Männern", heißt es. Aber die Vorstellung von einem einfachen "High Noon" in staubiger Luft passt so gar nicht zur komplizierten Realität.

Es geht schon damit los, dass die Kontrahenten gar keine direkte Beziehung haben. Die Stadt wird vertreten von der Elbphilharmonie Hamburg Bau KG, die praktisch identisch ist mit der städtischen Realisierungsgesellschaft ReGe. Ihr gegenüber steht die Zweckgesellschaft Adamanta, eine Tochter von Hochtief und der Commerzbank. Die Adamanta beauftragt aber nicht nur Hochtief mit dem Bau der Elbphilharmonie, sondern sie wird danach selbst für 20 Jahre Pächter des "kommerziellen Mantels" aus Hotel, Gastronomie und Parkhaus - den sie aber ihrerseits an Dritte weiterverpachtet. Man könnte aus dieser Matroschka noch etliche weitere Holzpuppen hervorholen, aber um es kurz zu machen: Allein Hochtief/Adamanta sind über 44 Verträge mit der Stadt verbunden, die alle voneinander abhängig sind. Wer diese Beziehung kappen will, muss erst mal klären: Wer muss hier eigentlich wem kündigen? Welchen Auftrag? Und was hat das für Folgen? Nur ein Beispiel: Wenn die Stadt Hochtief als Baufirma loswerden will, verliert sie dann auch Adamanta als Pächter und Verpächter des Hotels? Und springt dann auch die Westin-Gruppe als Hotelbetreiber ab?

Letztlich geht es natürlich um Geld. Es darf davon ausgegangen werden, dass Scholz Hochtief längst rausgeworfen hätte, wenn er sicher sein könnte, dass das für die Stadt die günstigste Lösung ist. Kann er aber nicht. Schon 2008 hatte der damalige CDU/GAL-Senat das als Horrorszenario dargestellt: "Der Senat schätzt den finanziellen Schaden einer Kündigung durch die Adamanta, insbesondere durch Mehrkosten und Terminverzögerungen im Rahmen der Neuvergabe, in mittlerer dreistelliger Millionenhöhe", hieß es in der Drucksache zum Nachtrag 4.

So ähnlich wäre es auch jetzt: Einer Kündigung würde ein extrem aufwendiges Beweissicherungsverfahren auf der Baustelle folgen (die Stadt hat damit allerdings schon begonnen), die ReGe müsste massiv verstärkt werden, alle Gewerke müssten neu ausgeschrieben werden - zum Teil europaweit - und neue Partner müssten gefunden werden. Die Pläne für dieses Szenario liegen zwar vor, aber das alles kostet sehr viel Zeit und Geld, die Kosten für die Stadt dürften um 100 Millionen Euro steigen, mindestens.

Viel teurer war die 2008 erzielte Einigung auch nicht. Seinerzeit hatte Hochtief zunächst einen Nachschlag von 270 Millionen Euro gefordert, bekommen hat der Konzern aber "nur" 137 Millionen. Einfacher wäre für die Stadt in jedem Fall, mit der Firma weiterzumachen, die den Bau am besten kennt. Voraussetzung wäre aber, dass Hochtief als Generalunternehmer und die Architekten Herzog & de Meuron als Generalplaner künftig gemeinsam planen, denn diese Trennung gilt als ein Geburtsfehler des Projekts. Ein anderer ist, dass der Bau begonnen wurde, bevor die Pläne fertig waren. Für diese gemeinsame Planung liegt ebenfalls ein Entwurf auf dem Tisch.

Seit dem Nachtrag 4 gilt, dass die offizielle Belastung für den Haushalt der Stadt bei 323 Millionen Euro liegt. Tatsächlich liegt der Preis für die Elbphilharmonie, inklusive Wohnungen, Hotel, Parkhaus und allem Drumherum schon heute bei weit über 500 Millionen Euro. Das führt zum Knackpunkt für eine Einigung. Rund 400 dieser 500 Millionen entfallen auf die Kosten von Hochtief. Inzwischen ist der Konzern aber der Meinung, dass ihm 645 Millionen zustehen. Die entscheidende Frage ist nun, wie viel Hochtief durchsetzen kann und was auf die Stadt entfällt. Abgesehen von gestiegenen Rohstoffpreisen geht es dabei vor allem um die enormen Verzögerungen. Gemessen am vereinbarten Fertigstellungstermin 30. November 2011 sind die Arbeiten 28 Monate in Verzug. Die Stadt nimmt davon nur drei Monate auf ihre Kappe und macht für den Rest Hochtief verantwortlich, der Konzern sieht es umgekehrt. Bei Kosten von 100.000 Euro pro Tag ein entscheidender Punkt. Mit anderen Worten: Selbst wenn Hochtief wie 2008 von seiner Maximalforderung abrückt, dürfte es ebenfalls mindestens 100 Millionen Euro teurer werden.

Von juristischen, finanziellen und technischen Problemen abgesehen, ist die Entscheidung aber auch ganz schlicht eine Frage des Vertrauens. Die städtische Seite ist fest überzeugt, dass Hochtief den Bau seit mehr als einem Jahr nur ruhen lässt, um die Stadt mit steigenden Kosten unter Druck zu setzen. Das Hochtief-Argument, wegen Bedenken um die Dachsicherheit nicht weiterbauen zu können, hält man für vorgeschoben - zumal, nachdem sich herausgestellt hat, dass das Dach stabiler ist als gedacht. Die Baufirma hat hingegen immer noch Bedenken, weitere 6000 Tonnen Last, vor allem Haustechnik, auf dieses Dach zu packen.

Verärgert ist der Senat aber auch, weil Hochtief aus seiner Sicht schon mehrfach Vereinbarungen nicht eingehalten hat. Jüngstes Beispiel waren die Eckpunkte, auf die man sich im Juli verständigt hatte. Damals hatte Hochtief einem Schiedsgericht zugestimmt, das alle strittigen Forderungen im Nachhinein klären sollte. Davon ist der Konzern aber später wieder abgerückt - aus seiner Sicht verständlich, denn zu bauen und erst später zu erfahren, ob man dafür Geld bekommt und wie viel, raubt jedem Kaufmann den Schlaf. Das ist nur ein Grund, warum die im Sommer groß angekündigte "Neuordnungsvereinbarung" bis heute nicht steht.

Besonders verärgert dürfte darüber Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) sein. Denn er war es, der 2008/2009 als Oppositionspolitiker massiv vor dem großen Nachschlag für Hochtief gewarnt und als Alternative besagtes nachgelagertes Schiedsgericht angeregt hatte - erfolglos. Das Gefühl, dass der Baukonzern die jeweiligen Senate am Nasenring durch die Stadt führt, beschleicht die SPD also nicht erst seit der Regierungsübernahme. So erklärt sich, warum der sonst so nüchterne Pragmatiker Scholz auch seinen Bauch befragt: Kann ich Hochtief noch trauen?

Dass die Antwort in der besinnlichen Adventszeit gegeben wird, hat eine gewisse Tradition: Den Nachtrag 4 hatte Schwarz-Grün 2008 am 23. Dezember beschlossen. Das ist die schlichte Wahrheit.