Trotz Einigung im Honorarstreit blieben rund 100 Hamburger Praxen geschlossen. Medizinern geht Kompromiss nicht weit genug.

Hamburg. Die Türen der Gemeinschaftspraxis am Privatweg in Stellingen blieben gestern geschlossen. Normalerweise praktiziert hier der Allgemeinmediziner Götz Schomburg mit zwei weiteren Kolleginnen. Dass es gestern bis auf eine kurze Sprechstunde für Notfälle keine Behandlungen gab, sei "ein Symbolakt", der eine deutliche Sprache spreche, sagt Schomburg. "Es zeigt, dass wir auch anders können."

Schomburg ist einer von rund 100 Hamburger Ärzten, die sich gestern an dem bundesweit ausgerufenen Streik beteiligten. Der Streik fand statt, obwohl die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Krankenkassen-Verband (GKV) ihren monatelangen Honorarstreit beigelegt hatten und sich auf einen Honoraraufschlag von rund 1,27 Milliarden Euro einigten.

Doch trotz der Einigung in Berlin blieben gestern viele Praxen im gesamten Bundesgebiet geschlossen. Den Medizinern geht der Kompromiss nicht weit genug, weil eine endgültige Einigung über die Verteilung der Gelder erst zu einem späteren Termin auf Länderebene geklärt werden soll.

Die jetzt festgelegten Eckpunkte sollen bis zum 22. Oktober von den Spitzenverbänden der Ärzte und der Kassen konkretisiert werden. "Was auf Bundesebene verhandelt wurde, sind lediglich Empfehlungen", sagte Michael Späth, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg. "Es wird jetzt darauf ankommen, mit den Hamburger Krankenkassen die für die Versorgung der Versicherten notwendigen Regelungen für das Jahr 2013 zu treffen. Dazu hat der Gesetzgeber eine Frist bis zum 31. Oktober gesetzt." Die wachsende Arbeitsbelastung durch die steigende Krankheitshäufigkeit einer alternden Gesellschaft bleibt ein zentrales Problem der Vertragsärzte. Sie müssen in den Verhandlungen ebenso gelöst werden, wie ein Ausgleich für die steigenden Betriebskosten gefunden werden muss.

Die Situation für die in Hamburg niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten bleibt bis dahin ungewiss.

Späth bezeichnet die Schließung der Praxen deshalb als einen "Warnschuss". Denn in der Öffentlichkeit habe sich derweil das Bild des raffgierigen Arztes durchgesetzt, sagt Allgemeinmediziner Schomburg. "Aber es geht ja nicht darum, dass wir uns die Taschen vollstopfen." Es sei eine Frage der generellen Betriebswirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Praxen.

Während der Geschäftsführende Vorstand des AOK-Bundesverbandes, Uwe Deh, den Ärzten aufgrund der Praxisschließungen mangelnde Rücksicht auf ihre Patienten vorwarf, hält Hamburgs KV-Vorstand Späth dagegen: "Den Ärzten wird ein bestimmtes Budget zur Verfügung gestellt, mit dem sie auskommen müssen. Wird dieses überschritten, so sind die Patienten die Leidtragenden." Vielen sei nicht bewusst, dass ein höheres Honorar keineswegs auch ein höheres Einkommen für die Ärzte bedeutet. Was die Gelder der Krankenkassen deckten, seien vor allem die alltäglichen betriebswirtschaftlichen Kosten: Miete, Personalkosten und Kredite. "Wenn die Probleme im Vergütungssystem bestehen bleiben, drohen auf lange Sicht Praxisschließungen", sagte Späth.

Laut der Zahlen des Statistischen Bundesamtes von 2007 (der jüngsten Erhebung) wuchs das Durchschnittseinkommen aller Ärzte zwischen 2003 und 2007 von 126 000 auf 142 000 Euro. Nach aktuellen Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung verdienen Allgemeinmediziner im Schnitt aller Ärzte 5018 Euro pro Monat, Orthopäden 6344 Euro, Psychotherapeuten dagegen nur 2658 Euro.

Die Allgemeinmediziner lagen laut der Amtsstatistik mit einem durchschnittlichen Bruttojahreseinkommen von 116 000 Euro am unteren Ende der Verdienstrangliste. Die Erhebung berücksichtigt die gesamten Einnahmen aus den gesetzlichen Kassen und privaten Versicherungen abzüglich der Praxisaufwendungen, jedoch vor Steuern und Abgaben.

Dass die aus Sicht der Kassenärzte chronische Unterbezahlung schnell zum Problem für die Patienten wird, weiß auch Andreas Fink. Der Radiologe aus Eidelstedt sagt: "Wie soll ich einem Patienten mit lädierten Knien erklären, dass ich lediglich das eine behandeln kann und auch dafür nur 80 Prozent der Kosten von der Krankenkasse gedeckt werden?" Fink hat gerade einen neuen Kernspintomograf angeschafft. Die Kosten von etwa 1,3 Millionen Euro muss der Arzt nach und nach abstottern. "Mit solchen Unsicherheiten müssen Ärzte über Jahre hinweg umgehen", sagt Fink.

Trotz des Streiks mussten die Patienten gestern nicht auf Andreas Fink und Götz Schomburg verzichten. Beide nahmen Hausbesuche wahr und kümmerten sich daneben um Büroarbeit. "Für Ärzte heißt streiken nicht, die Füße hochzulegen", sagt Schomburg.