SPD rätselt: Wann äußert sich Parteichef Olaf Scholz dazu, welche Kandidaten in den Bundestags-Wahlkreisen 2013 ins Rennen gehen?

Es gibt gestandene Hamburger Sozialdemokraten, die ihr politisches Handeln inzwischen an der Frage ausrichten, was Olaf Scholz dazu wohl sagen würde. Fände er den Vorstoß vermutlich gut, wird es gemacht, wenn nicht, lässt man besser die Finger davon. Dieser vorauseilende, besser vorausahnende Gehorsam belegt die außergewöhnlich starke Stellung, die der Erste Bürgermeister in der SPD hat, deren Landesvorsitzender er ja auch ist.

Scholz könnte über den kürzlich geäußerten Wunsch des designierten SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück nach "Beinfreiheit" im Bundestagswahlkampf mit Recht lächeln. Die Bitte des Merkel-Herausforderers an die Adresse seiner Parteifreunde muss Scholz angesichts seiner hiesigen Lage doch recht bescheiden vorkommen. Seit Langem hat kein Hamburger Sozialdemokrat so viel Macht in seinen Händen gehalten wie eben Scholz.

Seit seiner Wahl zum Parteichef Ende 2009 hat er an der Entschlossenheit, diesen Spielraum auch zu nutzen, keinen Zweifel gelassen. "Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch." Dieser Satz, mit dem sich der frühere Bundesarbeitsminister vor drei Jahren bei seinen Genossen bewarb, ist inzwischen zum Klassiker der jüngeren Hamburger Parteigeschichte geworden. Der Erdrutschsieg bei der Bürgerschaftswahl, mit dem Scholz die SPD aus der Opposition in die absolute Mehrheit im Rathaus führte, hat den Mann aus Altona fast zu einem Unberührbaren in seiner Partei gemacht.

Umso erstaunlicher ist, dass Parteichef Scholz in der zentralen personalpolitischen Frage, welche Direktkandidaten in den sechs Bundestags-Wahlkreisen 2013 ins Rennen gehen, offensichtlich die Zügel hat schleifen lassen. Über Monate zog sich das Gerangel hin, nur wenige Aspiranten wagten sich aus der Deckung. Nachdem am Montag dieser Woche die "Meldefrist" für Interessenten abgelaufen ist, ergibt sich ein sehr diffuses Bild: In vier der sechs Wahlkreise treten drei oder mehr Bewerber an. Das allein mag ja noch als Ausweis einer lebendigen innerparteilichen Demokratie gelten. Doch mindestens in zwei Wahlkreisen läuft Scholz Gefahr, das selbst gesteckte Ziel, alle sechs Hamburger Bundestagsmandate direkt zu holen, zu verfehlen.

Besonders unersprießlich ist die Lage in Scholz' politischer Heimat, dem SPD-Kreisverband Altona. Hier bewerben sich drei weithin unbekannte Sozialdemokraten um die Bundestags-Kandidatur. Die SPD Blankenese hatte die Bundestagsabgeordnete und stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Aydan Özoguz aufgefordert, in Altona anzutreten und damit den Platz einzunehmen, den Scholz nach seiner Wahl zum Bürgermeister freigemacht hat. Auch Altonas SPD-Chefin Melanie Schlotzhauer unterstützte die Einladung.

Im Wahlkreis Altona/Elbvororte mit seiner gemischten Sozialstruktur liegen CDU und SPD traditionell relativ gleichauf. Ein prominentes Zugpferd wie Özoguz, die 2009 über die Landesliste in den Bundestag kam und keinen eigenen Wahlkreis hatte, hätte die Chancen der SPD erhöhen können, das Direktmandat zu holen. Das gilt umso mehr, als mit CDU-Chef Marcus Weinberg ein auch für das SPD-Spektrum wählbarer Unions-Kandidat antritt.

Scholz soll mehrfach ohne Erfolg mit Özoguz gesprochen haben, um sie zu einem Wechsel nach Altona zu bewegen. Verbürgt sind intensive Bemühungen von Parteivize Nils Weiland, wie Özoguz Mitglied der Wandsbeker SPD. Doch die Frau von Innensenator Michael Neumann (SPD) blieb unerschütterlich: Sie will als Direktkandidatin in ihrem Heimat-Wahlkreis Wandsbek antreten. Weiland handelte nicht ohne Rückendeckung von Scholz, der aber Özoguz letztlich gewähren ließ.

Dabei hätte ein Ja von Özoguz zu Altona auch ein zweites Problem elegant gelöst: Dann wäre der Weg für eine Kandidatur des Bundestagsabgeordneten Ingo Egloff in Wandsbek frei gewesen. Egloff hatte vor drei Jahren diesen Wahlkreis zwar nicht für die SPD gewinnen können, rückte aber für Scholz in den Bundestag nach.

Um es nicht zu einem Bewerber-Duell zwischen Özoguz und Egloff kommen zu lassen, drängten Parteifreunde Egloff zum Verzicht. Der frühere Parteichef wich nach Harburg/Bergedorf aus, wo er sich nun gleich zweier Konkurrenten erwehren muss: des Wilhelmsburger Bürgerschaftsabgeordneten Metin Hakverdi und des Harburger SPD-Chefs Frank Richter. Scholz hatte die Losung ausgegeben, dass jeder Berliner Abgeordnete, der erneut antritt, eine Direktkandidatur in einem Wahlkreis erhalten soll.

Ob sich Egloff als aus Wandsbek Zugewanderter im Süden durchsetzen kann, ist derzeit völlig offen. Seine Chancen würden deutlich steigen, wenn Richter verzichten würde. Scholz konnte den Harburger, der sein Stellvertreter an der Spitze des Landesverbandes ist, bislang nicht zum Verzicht bewegen. "Aber die Messe ist noch nicht gelesen", sagt ein Insider. Richter könnte den Weg jederzeit frei machen.

Warum lässt Scholz die Dinge derart laufen? Es gibt schließlich Genossen, die ihm wegen seiner Neigung, sich in alles einzumischen, in gallig-verzweifeltem Parteispott den wenig schmeichelhaften Titel "Kim Jong Olaf" angehängt haben - in Anspielung auf den einstigen nordkoreanischen Schreckensherrscher Kim Jong-il. Zwei Antworten sind denkbar: Scholz will den Bogen nicht überspannen und lässt den Kreisverbänden daher freie Hand. Das widerspricht seinem Naturell, zumal er als SPD-Chef selbst das Ziel, alle sechs Wahlkreise zu holen, ausgegeben hat.

Vorstellbar ist auch, dass er sich einen direkten Eingriff, der öffentlich ohnehin nicht sichtbar wäre, für den letzten und allerletzten Moment vorbehält. Schließlich muss auch noch die Landesliste aufgestellt werden, die Bedeutung erhalten kann, wenn die SPD nicht alle Wahlkreise direkt gewinnt.

An Aydan Özoguz als stellvertretender Bundesvorsitzender auf Platz eins führt kaum ein Weg vorbei. Nach den SPD-Statuten muss auf Platz zwei ein Mann folgen. Ingo Egloff hat Scholz intern schon deutlich gemacht, dass er in jedem Fall auf einem vorderen Platz kandidieren will, also wohl auf Platz zwei. Vielleicht kann sich Olaf Scholz ja bei der Listenaufstellung noch als Friedensfürst profilieren.