Wer einmal nachgibt, wird kaum mehr einen anderen anderen Standort durchsetzen. Noch sind die Moorburger aber nicht überzeugt.

Gentleman der Woche ist ohne Zweifel Sozialsenator Detlef Scheele: Der Sozialdemokrat übernahm am Mittwoch die undankbare Aufgabe, in der Bürgerschaft die Unterbringung ehemaliger Sicherungsverwahrter in einem Moorburger Bauernhaus gegen die zum Teil heftige Kritik der Opposition zu verteidigen. Eigentlich ist der Umgang mit den verurteilten Schwerverbrechern, die ihre Strafe abgesessen haben, aber nach wie vor als gefährlich gelten, Sache der Justiz. Und so redeten in der Aktuellen Stunde des Landesparlaments denn auch die justizpolitischen Sprecher von SPD, CDU, Grünen, FDP und Linken. Nur Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) schwieg und überließ dem Sozialsenator den Vortritt.

Nun geht es unter Politikern - auch und gerade mit dem gleichen Parteibuch - selten um den Austausch von Freundlichkeiten und Höflichkeiten. Es gibt folglich auch eine offizielle Erklärung für den Rollenwechsel im Senat, denn vor neun Monaten, als die drei Sicherungsverwahrten vorübergehend auf dem Gelände eines Pflegeheims in Jenfeld untergebracht wurden, war noch alles anders: Damals, in der aufgeregten und hochemotionalen Debatte mit Jenfelder Bürgern in der Helmut-Schmidt-Universität führte Justizsenatorin Schiedek das erste Wort.

Damals, so lautet die offizielle Erklärung, sei es vor allem um die Erläuterung der Rechtslage gegangen: Warum sind diese Menschen frei (Urteil des EU-Gerichtshofs für Menschenrechte) und warum muss sich der Staat um sie kümmern (zum Schutz der Bevölkerung)? Das sei Sache der Justiz. Jetzt, beim neuen Quartier, stünden die Standortauswahl und die Integration der ehemaligen Sicherungsverwahrten im Vordergrund. Das sei in erster Linie Sache des Sozialsenators.

Das mag man glauben oder auch nicht. Die öffentliche Diskussion über das umstrittene Urteil des EU-Gerichtshofs läuft jedenfalls nicht erst seit Dezember 2011, sondern mindestens schon seit Mai 2010. Nicht von der Hand zu weisen ist jedoch, dass Scheele ein politisches Temperament aufweist, das für schwierige Fälle in hohem Maße geeignet ist. Er geht ohne Berührungsängste in turbulente Auseinandersetzungen, redet Klartext, kann einstecken und bei Bedarf auch kräftig austeilen. Wenn er eine unangenehme Botschaft überbringen muss wie jetzt in Moorburg, dann tut er das mit einer gewissen Chuzpe, so dass einem der Luther-Satz "Hier stehe ich und kann nicht anders" einfällt. Scheele kann aber auch ein Betroffenheitsgesicht aufsetzen.

Der Mann aus der Sozialbehörde hat sich zu einer Art Troubleshooter des SPD-Senats entwickelt, auch wenn Scheele den Ausdruck nicht schätzt. "Es stört mich zumindest nicht, wenn ich weiß, dass ich Rückendeckung für mein Vorgehen habe", sagt der Sozialsenator. Scheele hat die volle Unterstützung nicht nur von Schiedek und Innensenator Michael Neumann (SPD), der dritte im Bunde bei Thema Unterbringung der ehemaligen Sicherungsverwahrten. Noch wichtiger ist wohl, dass Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hinter seinem Vertrauten aus gemeinsamen Berliner Tagen steht, als Scholz Bundesarbeitsminister und Scheele sein Staatssekretär war.

Beide eint die Überzeugung, dass der Senat in einer so heiklen Frage nicht wackeln darf. Wer einmal nachgibt, weil der Protest vor Ort zu groß ist, der wird kaum mehr einen anderen Standort durchsetzen können. "Es gibt nur ein Angebot, das wir machen können. Es gibt kein anderes", hatte Scholz im Abendblatt-Interview im Dezember 2011 gesagt, als der Sturm der Jenfelder Bürger hochbrandete. In gewisser Hinsicht darf sich der Senat sogar bestätigt sehen: Der öffentlich wahrnehmbare Protest im Osten der Stadt ebbte Zug um Zug ab, mancher der Anwohner hatte sich dann doch mit den ungeliebten Nachbarn arrangiert.

Einen wichtigen Unterschied zwischen Jenfeld und Moorburg gibt es: Das erste Quartier war auf ein knappes Jahr befristet. Jetzt gibt es keine zeitliche Begrenzung mehr. Scheele hat das den Moorburgern in seiner unverblümten Art gleich zu Beginn mitgeteilt. Es sei zwar durchaus nicht sicher, dass alle drei Ex-Sicherungsverwahrten in das Elbdorf umziehen. Möglicherweise wird für Hans-Peter W. eine andere Lösung gefunden. "Aber wir bauen das Haus so um, dass drei Wohnungen entstehen", sagt Scheele. Es könnten schließlich noch weitere Sicherungsverwahrte entlassen werden.

Noch sind die Moorburger keinesfalls überzeugt. Im Gegenteil, kräftiger Protest regt sich - auch weil der Stadtteil schon mehrfach belastet ist, unter anderem durch den Neubau des Steinkohlekraftwerks. Was in den nächsten Wochen folgt, nennt sich in der Behördensprache "Bürgerdialog": Gespräche mit den Kirchen, Vereinen und Schulen. Beim Werben um Vertrauen in das Vorgehen des Senats wird Scheele von jemandem unterstützt, der schon in Jenfeld hinter den Kulissen Überzeugungsarbeit geleistet hat: Justiz-Staatsrat Ralf Kleindiek.

Der Sozialdemokrat ist von ähnlicher politischer Statur wie Scheele und scheut keine Auseinandersetzung. Die beiden kennen sich aus Berlin. Kleindiek war damals Chef des Leitungsstabes im Justizministerium. Auf die Frage, wie er mit Kleindiek auskomme, antwortet Scheele nur: "Super!"