Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Länder zahlen müssen. Für Tschentscher ist Vorgänger Freytag ein mahnendes Beispiel.

"Was ist mit den letzten Milliarden?" Diese mit Blick auf die Konsequenzen für die Stadt sehr beängstigende Frage bereitet Finanzpolitikern seit einigen Tagen Sorgen. Es geht dabei um die HSH Nordbank, jenes Institut im Besitz der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein, das 2009 und 2010 die Schlagzeilen beherrschte, um das es seitdem aber relativ ruhig geworden war. Zurück in den Fokus gerückt hat es der Finanzsenator höchstpersönlich: Bei der Einbringung des Haushalts 2013/2014 in die Bürgerschaft wies Peter Tschentscher (SPD) überdeutlich auf ein 90-Milliarden-Euro-Risiko für die Länder hin, und fügt noch an: "Ich sage das ausdrücklich an dieser Stelle, weil zum guten Regieren nicht gehört, Dinge schönzureden, sondern Probleme und Risiken klar zu benennen."

Probleme? Risiken? War die HSH nicht als "Bank für Unternehmer" gerade zurück in ruhigem Fahrwasser? Schrieb sie nicht sogar schon wieder schwarze Zahlen? Viele Abgeordnete zeigten sich überrascht von der Deutlichkeit der Worte, einer bekannte sogar, sie hätten ihn "erschreckt". Die Finanzexpertin der Grünen, Anja Hajduk, fasste zusammen, was viele dachten: "Ich hatte beim Zuhören das Gefühl, dass der Finanzsenator uns auf eine schlechte Nachricht vorbereiten will."

Aber auf welche?

Wenige Tage darauf hakten die Abgeordneten im Haushaltsausschuss nach. Und der Finanzsenator bekräftigte: Ja, die HSH sei für den Etat immer noch das größte Risiko. Allerdings blieben die Begründungen auch an jenem Abend eher allgemeiner Natur: Die Euro-Schwäche gegenüber dem Dollar, die Krise der Schiffsfinanzierer - was Banken, zumal großen Schiffsfinanzierern wie der HSH, halt so zu schaffen macht.

Fest steht: Am kommenden Donnerstag beugt sich der Aufsichtsrat der HSH über die Halbjahreszahlen, direkt im Anschluss informiert die Bank hinter verschlossenen Türen die Bürgerschaft, bevor die Zahlen am Freitag veröffentlicht werden. Doch bis dahin machen sich viele Politiker bereits ihre eigenen Gedanken - und vieles mündet eben in der Frage: "Was ist mit den letzten Milliarden?" Um es vorwegzunehmen: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Milliardengarantie der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein doch noch in Anspruch genommen wird, steigt offensichtlich wieder.

Um Frage und Antwort zu verstehen, muss man sich die Zeit in Erinnerung rufen, als die HSH "am Abgrund" stand, wie es Ex-Vorstandschef Dirk Jens Nonnenmacher formuliert hatte. Es war Ende 2008, als infolge von Finanzkrise und Fehlspekulationen ein Verlust von 2,8 Milliarden Euro drohte. Die beiden Länder als Haupteigentümer spannten daher gemeinsam einen 13-Milliarden-Euro-Rettungsschirm über ihre Bank. Für drei Milliarden schossen sie Kapital nach - was ihren Anteil auf gut 85 Prozent erhöhte -, und mit zehn Milliarden bürgten sie für alle bestehenden Geschäfte der Bank - die von Tschentscher genannten 90 Milliarden sind davon noch übrig. Als Sicherheit wurde aber eine "Erstverlusttranche" eingebaut: Die ersten 3,2 Milliarden Euro Verlust muss die HSH selber schultern, erst darüber hinaus darf sie die Garantie ziehen. Wie wahrscheinlich dieser Fall ist, wird regelmäßig mittels einer mathematischen Formel errechnet und von unabhängigen Wirtschaftsprüfern abgesegnet. Bislang lag dieser Wert bei rund 40 Prozent, doch in Anbetracht des schwierigen Umfelds steigt er wohl. Wohlgemerkt: Es geht nur um das Ob, nicht um die wahrscheinliche Höhe der Inanspruchnahme.

Noch ist das eine theoretische Betrachtung, aber eine, aus der der Finanzsenator sehr konkrete Sorgen ableiten kann. Denn die HSH ist zwar fleißig dabei, Geschäftsfelder abzubauen, die sie nicht mehr betreiben will oder als Folge von EU-Auflagen nicht mehr betreiben darf - zum Beispiel die Flugzeugfinanzierung. Aber allein diese interne "Abbaubank" ist noch mehr als 50 Milliarden Euro schwer. Und je länger der Prozess dauert, desto deutlicher zeichnet sich ein Bodensatz ab, der schwer zu versilbern ist. Daher drängt sich jene Frage mehr und mehr auf: "Was ist mit den letzten Milliarden?"

Immerhin, dem Vernehmen nach wird die HSH als Halbjahresergebnis keine roten Zahlen verkünden, und es gibt daher auch keine Forderung an die Anteilseigner, Geld nachzuschießen. Für Probleme sorgt eher das Gegenteil: Die Bank hat die Zehn-Milliarden-Garantie schon auf sieben Milliarden zurückgefahren und zahlt entsprechend weniger Gebühren dafür - statt anfangs 400 Millionen Euro jährlich nur noch etwa 280 Millionen. Wer dahinter immer noch ein gutes Geschäft für die Länder vermutet, irrt jedoch. Denn diese Gebühr fließt nicht in die Länderhaushalte in Hamburg und Kiel, sondern in den gemeinsamen "HSH Finanzfonds", intern liebevoll "Finfo" genannt. Diese eigens für die HSH-Rettung gegründete Anstalt hat außer der Garantie auch die drei Milliarden Euro Kapital bereit gestellt, für die sie einen Kredit aufgenommen hat. Doch die Rechnung "Garantiegebühr finanziert Kreditkosten" geht nicht mehr auf, weil der Wert der HSH-Aktien massiv gefallen ist: Von den einst drei Milliarden hat der Finfo schon eine Milliarde abgeschrieben und wies Ende 2011 ein Minus in der Bilanz von 218 Millionen aus. Wenn die Anstalt in einigen Jahren aufgelöst wird, könnte also eine immense Rechnung auf die Länder zukommen.

Das alles erklärt die deutlichen Worte des Finanzsenators - die immer heikel sind, weil er der Bank damit auch schaden kann. Doch Tschentscher hat wohl auch seinen Vorvorgänger Michael Freytag (CDU) als mahnendes Beispiel vor Augen. Der hatte die HSH Ende 2008 als "im Kern gesund" bezeichnet. Das wurde er nie wieder los.