Sven Göbel will arbeiten und braucht dafür eine Wohnung, für die er wiederum einen Job braucht

Altona-Nord. Es war der 3. Juli dieses Jahres, als Sven Göbel wieder einen Fuß in die Tür bekam. Die Welt dahinter ist zehn Quadratmeter groß, ein Tisch, zwei Stühle, ein Bett, eine Kommode, eine Lampe. Und ein Teppich. Luxus. Sven hat einen Container für sich, in anderen Unterkünften müssen sie zu zweit oder viert in einem Zimmer leben. Göbel hat einmal Glück gehabt.

Knapp acht Monate lang war Sven Göbel, 24, obdachlos in Hamburg, schlief erst bei Freunden und dann, als es ihnen zu viel wurde, in Kellern und Gartenhäusern, die er aufbrach und frühmorgens wieder verließ. "Stress, Stress, Stress" sei die Zeit gewesen, sagt er. 20 Kilogramm nahm er ab. "Mir ging es nur noch elend. Niemand kann sich vorstellen, was es heißt, auf der Straße zu leben." Weil er nicht im "Pik As" und nicht im Freien schlafen wollte, machte er tagelang durch. Auch im Winter blieb er draußen, an den Wochenenden fuhr er in der warmen Bahn die Nächte durch. Laut der Obdachlosenzeitschrift "Hinz & Kunzt" landen immer wieder Obdachlose im Gefängnis - wegen Schwarzfahrens. "Manche bauen sogar absichtlich Scheiße", sagt Sven. "Im Gefängnis ist es warm, da gibt es zu essen. Im Vergleich zur Straße paradiesisch."

Eineinhalb Monate lebt er nun in der Containersiedlung in Altona-Nord. Die Neue Wohnung ist eine gemeinnützige GmbH, 60 Plätze hat sie insgesamt. Wie die öffentlich-rechtliche Unterbringung sind auch die Wohnprojekte der Neuen Wohnung eigentlich befristet gedacht - als eine Art Mischform zwischen "Platte machen" und fester Wohnung, als vorübergehende Notunterkunft für Menschen, die eigentlich das Recht hätten auf eine eigene Wohnung. Nur wenige Monate, heißt es, sollen sie dort verbringen, bevor sie in einen festen Wohnsitz vermittelt werden. Svens Nachbar Florian, 29 Jahre alt, ist schon seit mehr als fünf Jahren da.

Weil Wohnungen rar sind in Hamburg, sind es auch die Plätze in den Unterkünften. Monatelang habe er gekämpft, sagt Sven. Aber gerade junge Menschen fallen rasch durch das Netz der Hilfsangebote. "Der Kostendruck auf die Jugendhilfe verschlimmert alles noch", sagt Michael Struck, Geschäftsführer der Neuen Wohnung. "Immer häufiger müssen wir uns auch um Leute kümmern, die vom Alter her eigentlich nicht unsere Zielgruppe sein sollten. Bei jungen Leuten ist Obdachlosigkeit besonders tragisch, weil sie ja eigentlich noch eine Perspektive haben." Unter 25-Jährige aber müssen erst Gründe nachweisen, warum sie nicht zu Hause bei ihren Eltern bleiben können.

"Es gibt die verschiedensten Gründe, warum inzwischen sogar Jugendliche obdachlos werden", sagt Jörg Israel, Straßensozialarbeiter beim Suchthilfeträger Palette. Probleme in der Familie, Alkohol, Drogen. "Es gibt aber auch Schüler, die aus einer gut situierten Welt kommen und kurz vor dem Abitur auf die Straße gesetzt werden. Eigentlich sollten die sich auf ihren Abschluss vorbereiten." Bei anderen sei im Alter von 21 die Jugendhilfe schon ausgeschöpft. "Dann fallen sie aus den Maßnahmen. Aber gerade auf Leute in dem Alter haben die Vermieter keine Lust."

Eltern hat Sven keine mehr. Seine Mutter starb, als er drei Jahre alt war, die Großeltern folgten wenige Jahre später. Seither ist sein Leben nicht mehr zur Ruhe gekommen, Drogen, Gefängnis, eine Tochter, die bei Pflegeeltern lebt. Als Sven entlassen wurde, beschloss er, von vorne anzufangen. 14 Monate dauerte die Drogentherapie, am 13. November 2011 endlich stand er auf der Straße und fühlte sich frei. Was folgte, beschreibt er heute als die schlimmste Zeit. Immer wieder sprach er bei den Ämtern vor, versuchte ein Dach über den Kopf zu bekommen. "Aber weil ich auf Bewährung war, brauchte ich eine Adresse", sagt er. "Ich war gemeldet bei meiner Therapiestelle und durfte mich nicht abmelden. Und wenn ich versuchte eine Wohnung zu bekommen, hieß es: Sie haben doch schon eine Adresse. Dem einen Amt gegenüber musste ich nachweisen, gemeldet zu sein. Und dem anderen sollte ich nachweisen, nicht gemeldet zu sein."

Der erste Schritt ist nun geschafft, der nächste soll folgen. Svens Hoffnung ruht auf der Saga. Jeden Donnerstag werden die freien Wohnungen ausgehängt, jeden Donnerstag ist Sven da. Sein Leben beschreibt er in Prozent, wie einen Download-Balken, der momentan bei 30 Prozent steht. Mit einer neuen Wohnung, glaubt Sven, hätte er schon 80 Prozent geschafft. Er möchte wieder arbeiten, auf dem Bau, wie früher, er möchte seiner Tochter mal Geschenke kaufen. Vielleicht könnte er bei einem ehemaligen Arbeitgeber unterkommen. "Er hat gesagt, ich kann mich gerne mal melden", sagt Sven. "Aber erst, wenn ich eine Wohnung habe."