Es mag einmal funktioniert haben. Heute ist es fromme Selbstlüge, dass Beruf und Parlamentsarbeit wirklich unter einen Hut zu bekommen sind.

Der politische Zufall hat in dieser Woche CDU und SPD das gleiche Problem beschert: Beide Fraktionen müssen den Verlust eines prominenten Parlamentariers verkraften. Die CDU-Rechtspolitikerin Viviane Spethmann und der SPD-Abgeordnete und Reeder Erck Rickmers haben erklärt, ihr Mandat Ende des Monats niederzulegen. So unterschiedlich die tiefer liegenden Gründe für den Karrierestopp im Rathaus sind, einen Punkt führten beide an: die zeitliche Belastung.

Die Bürgerschaft ist formal betrachtet das einzige Feierabend-Parlament in Deutschland. Die Rechtsanwältin Spethmann und der Unternehmer Rickmers liefern mir ihren Berufen geradezu die Blaupause für die Idee des Teilzeit-Parlaments: tagsüber im Job, um abends in der Bürgerschaft berufliche Erfahrung und Erdung einzubringen. Das verhindert wirksam, dass Volksvertreter abgehoben von den Interessen des Volkes entscheiden.

Es mag einmal funktioniert haben. Heute ist es fromme Selbstlüge, dass Beruf und Parlamentsarbeit wirklich unter einen Hut zu bekommen sind. Das mag für den Seniorpartner einer großen Anwaltskanzlei gelten, der sich aus dem Alltagsgeschäft zurückgezogen hat, aber kaum für denjenigen, der mitten im Job steht. Seit der Wahlrechtsreform kommt als zusätzliche Aufgabe für viele Abgeordnete die Pflege des Wahlkreises hinzu. Kurzum: Für die meisten Bürgerschaftsabgeordneten ist das Mandat ein Vollzeitjob.

Ein Ausweg wäre die Professionalisierung der Bürgerschaft mit Vollzeit-Bezahlung. Momentan erhalten die Parlamentarier 2500 Euro monatlich. Doch daran wird sich nichts ändern. Seit dem berüchtigten Diätenskandal vor rund 20 Jahren, als recht üppige Pensionszahlungen für Abgeordnete am Widerstand aus der Bevölkerung scheiterten, ist die sogenannte Statusfrage der Bürgerschaft ein Tabu.

Spethmann wäre auch mit höheren Diäten nicht zu halten gewesen, Rickmers schon gar nicht. Bei der CDU-Frau reifte der Entschluss zur Aufgabe als Folge ihres tiefen Frusts über ihre Parteifreunde. Der Fall Spethmann liefert ein kleines Sittengemälde der CDU.

Die Rechtsanwältin war bis vor wenigen Monaten eine der Führungsfiguren der Elb-Union: stellvertretende Landesvorsitzende und früher stellvertretende Fraktionschefin. Es gibt nicht viele Frauen in Top-Positionen der Männerpartei CDU. Spethmann, deren Fachkompetenz über die Fraktionsgrenzen hinweg geschätzt wird, war stets tief verwurzelt im CDU-Kreisverband Nord. Hier hatte sie ihre einflussreichen Förderer: Ex-Bürgerschaftspräsident Berndt Röder, Ex-Parteichef und Ex-Finanzsenator Michael Freytag und schließlich Ex-Bürgermeister Christoph Ahlhaus. Röder und Freytag haben die politische Bühne längst verlassen und spielen auch im Hintergrund keine Rolle mehr. Anders Ahlhaus: Zwischen ihm und Spethmann kam es zur Entfremdung, als die Staatsanwaltschaft gegen den Ex-Bürgermeister wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit seinem Hauskauf Ermittlungen aufnahm. Spethmann soll sich dafür ausgesprochen haben, dass Ahlhaus nicht erneut als Vorsitzender der CDU Nord kandidiert. Am Ende wurde Spethmann abgestraft: Die CDU Winterhude, der auch Ahlhaus angehört, nominierte sie nicht einmal mehr als Parteitagsdelegierte. Spethmann schloss sich inzwischen dem Uhlenhorster Sprengel der CDU an.

Erck Rickmers ist der Seiteneinsteiger par excellence, der erst kurz vor seiner Wahl in die Bürgerschaft in die SPD eingetreten ist. Und ungewöhnlich für einen Neuling: Er wurde sofort Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses.

Rickmers kehrt der Bürgerschaft "aus unternehmerischen Gründen" den Rücken - er will sich angesichts der Weltschifffahrtskrise wieder stärker um seine Reederei kümmern. Doch seit Beginn seiner politischen Arbeit vor gerade einmal 15 Monaten wurde der Wirtschaftsboss für höhere politische Aufgaben gehandelt. Nun wäre es aber zu kurz gegriffen zu behaupten, dass Rickmers aus Enttäuschung über deren Ausbleiben den Schlussstrich zog. Das naheliegende Amt des Wirtschaftssenator hat Rickmers nie angestrebt. Ihm ist klar, dass das nicht durchzuhalten wäre: Seine Reederei ist Kreditnehmer der staatlichen HSH Nordbank und mit Hamburgs "Staatsreederei" Hapag-Lloyd geschäftlich verbunden.

Dass es Rickmers in den Fingern gejuckt hat, Politik zum Vollzeitjob zu machen, ist allerdings nicht zu bestreiten. Anfang des Jahres gab es Gespräche mit dem Kieler SPD-Spitzenkandidaten und heutigen Ministerpräsidenten Torsten Albig über den Posten des Wirtschaftsministers. Der Wechsel an die Förde scheiterte an der Forderung der Grünen, die Zuständigkeit für die Energieversorgung vom Wirtschafts- in das Umweltressort zu verlagern. Außerdem passte Rickmers nicht, dass Albig ihm einen Gewerkschafter als Staatssekretär an die Seite stellen wollte.

Und dann war da noch die Sache mit Berlin. Eine Weile hielt sich das Gerücht, er würde für den nächsten Bundestag kandidieren wollen, weitere Aufgaben dort nicht ausgeschlossen. Nun kommt es bekanntlich anders. Aber Rickmers betonte in dieser Woche, dass er nicht für immer Abschied von der Politik nimmt. Und wer weiß, wenn die Konjunktur wieder läuft ...