An vielen Ecken der Stadt brodelt es. Luxussanierungen sorgen für Protest bei Kreativen und alteingesessenen Bewohnern.

Hamburg. Mit Hochglanz-Broschüren und flotter PR-Rhetorik feierte Hamburg gern sein Leitbild der "Wachsenden Stadt". Doch was wächst, verdrängt, wenn es im Inneren der Stadt passiert. Viele einzelne Brennpunkte der Stadtentwicklung brechen daher zurzeit auf: Künstler besetzen das historische Gängeviertel oder votieren gegen die Ikea-Ansiedelung in Altona, weil es kaum noch günstige Atelierflächen in der Stadt gibt. In St. Georg, St. Pauli oder auch Wilhelmsburg beklagen Initiativen die Verdrängung von Altmietern aus Vierteln, die zunehmend luxussaniert werden.

Protest gibt es aber auch immer wieder in gewachsenen Wohngebieten der Stadt: Dort, wo noch eher kleinere Einfamilienhäuser auf großzügigen Grundstücken stehen, bauen Investoren Apartment- oder Reihenhäuser. Die Konkurrenz um knappe Flächen ist groß geworden. Nischen verschwinden, verschachtelte Altbauten weichen der Stahl-und-Glas-Architektur von Investoren.

"Aber man muss zwei Prozesse unterscheiden", sagt Jörg Knieling, Professor und Leiter des Instituts für Stadtplanung und Stadtentwicklung der HafenCity-Universität. Bei den Protesten gegen eine zunehmende Verdichtung in Einfamilienhausgebieten handele es sich vor allem um "Bewahrung einer privilegierten Wohnlage". Anders bewertet Knieling die Streits um Gängeviertel, um St. Pauli und andere Szenequartiere. Hier sieht er einen "brutalen Marktprozess", einen Verdrängungswettbewerb zwischen wohlhabenden Neunutzern und sozial eher schwächeren Altmietern. "Die Innenstädte werden wieder attraktiv, junge, gut verdienende Leute ziehen nicht mehr unbedingt raus aufs Land." Das Phänomen sei zwar überall in Großstädten Europas zu beobachten, doch manche skandinavische Stadt sei da besser aufgestellt, weil viel mehr Gebäude in der Stadt im kommunalen Eigentum blieben. Sozialer Wohnungsbau oder Schutzsatzungen seien daher Mittel der Stadtpolitik, die jetzt solche Prozesse besser steuern könnten. Knieling: "Eine zunehmende Separierung von Bevölkerungsteilen und die damit verbundene Verdrängung in Großwohnsiedlungen am Stadtrand kann nicht gut sein für eine Stadt."

Gängeviertel

Das Gängeviertel wird seit dem 22. August von 200 Künstlern "bespielt". Das heißt: Die Künstler wohnen dort nicht, sondern organisieren tagsüber und abends Ausstellungen, Führungen, Festivals, Theatervorstellungen, Lesungen und vieles mehr. Mit ihrer friedlichen und freundlichen Aktion haben sie viele Sympathisanten in der Stadt gefunden; 15 000 Besucher waren schon da. Die Initiative plant, zwölf denkmalwürdige Gebäude instand zu setzen und zu erhalten. Ziel: Sie will "der Raumnot von nicht primär kommerziell genutzten Projekten wie Ateliers, Galerien und soziale Projekten konstruktiv und selbst organisiert entgegentreten". Die "Besetzer" fordern die "städtische Lösung" oder eine genossenschaftliche - ohne den niederländischen Investor Hanzevast. "Es soll auch ein Ort für soziale Projekte werden, wo zum Beispiel Schulen ihre Arbeiten vorstellen können", sagt Sprecherin Christine Ebeling. Hamburg hat mit dem Investor einen rechtsgültigen Vertrag abgeschlossen, nachdem das Viertel weitgehend abgerissen oder entkernt wird.

Rote Flora

Egal, wie man zu dem besetzten Haus im Schanzenviertel steht: Es ist eine Oase inmitten steigender Mieten und hat den Stadtteil entscheidend geprägt. Seit 20 Jahren ist die Rote Flora besetzt. Vor acht Jahren kaufte der Investor Klausmartin Kretschmer das Gebäude und beendete damit zunächst Debatten um eine Räumung. Nun befeuert der Investor selbst die Debatte um eine neue Nutzung. Die Rote Flora werde immer mehr zum "Fremdkörper" und bringe das Viertel nicht voran, sagte er in einem Interview. Seit Jahren lehnen die Rotfloristen Gespräche mit ihrem "Gastgeber" ab. Kretschmer ist offenbar an einem Verkauf der Immobilie interessiert und hofft auf Unterstützung von der Stadt - zumindest droht er dem Senat im Falle einer Räumung mit einer "brennenden Flora". Die GAL-Fraktion reagierte kühl: "Wir müssen nicht über jedes Stöckchen springen, das man uns hinhält. Gibt es konkrete Vorschläge, können wir darüber reden", sagte Innenexpertin Antje Möller.

Frappant Altona

Lange stand das Frappant-Gebäude (Ex-Karstadt) an der Großen Bergstraße weitgehend leer. Inzwischen haben dort rund 130 Künstler, Designer und auch Stadtplaner günstige Ateliers und Büros. Zum 30. November wurde ihnen gekündigt - doch eine Ausweichmöglichkeit gibt es nicht. "Wir wollen auch gern als Gemeinschaft zusammenbleiben", sagt Sprecherin Gianna Schade. Das Problem: Der 70er-Jahre-Komplex soll abgerissen werden, dort will Ikea ein Möbelhaus bauen. Die Künstler und andere Initiativen befürchten nun, dass durch Ikea eine Aufwertung des Stadtteils stattfindet, sodass langfristig Wohn- und Gewerbemieten steigen und bisherige Mieter verdrängt werden. Im Stadtteil selbst gibt es aber auch etliche Befürworter von Abriss und Ikea-Plänen. Möglicherweise kommt es daher im Januar zu einem Bürgerentscheid.

Elbtreppen Neumühlen

Die alten und teils maroden Mietshäuser sind in der edlen Wohnlage ein Relikt. Doch die Saga möchte am liebsten abreißen und schönen teuren Wohnraum mit Elbblick bauen. Die Mieter träumen indes von Erhalt und einer Genossenschaft, die die historischen Häuser übernimmt. Aktuell untersucht das Denkmalschutzamt, ob das Ensemble geschützt werden müsste.

Zollhäuschen Steinwerder

Auch hier ein Konflikt um Künstler: Die hatten am südlichen Ausgang des Alten Elbtunnels Galerie und Atelier in ein altes Zollhaus gebaut. Ein kreatives Kleinod mitten im Industriehafen. Doch die Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA) will das Haus abreißen, um dort eine Baustelle zur Elbtunnel-Sanierung einzurichten. Abrisstermin war der 1. Oktober, das Haus ist aber nur teilweise geräumt.

Buchenhofwald

Der Streit um ein (noch) freies großes Grundstück an der Osdorfer Landstraße in Iserbrook ist ein Beispiel von vielen in der Stadt, wo die von der Politik gewollte Nachverdichtung zu heftigen Protesten der Anwohner führt.

Wilhelmsburg

Hier ist die Aufwertung erklärtes Programm: Internationale Bauausstellung (IBA) und Internationale Gartenschau sollen bis 2013 ein neues Image kreieren. Studenten werden mit günstigen Wohnungen gelockt. Erste Erfolge sind sichtbar, besonders das Reiherstiegviertel ist auf dem Weg zum Szenequartier. Teils wird die Entdeckung im Stadtteil begrüßt, teils gibt es aber starke Befürchtungen, dass auch in Wilhelmsburg steigende Mieten zu Verdrängung führen werden.

Bernhard-Nocht-Quartier

Es geht um Wohnraum. Der war über Jahrzehnte relativ billig auf St. Pauli. Doch in nur vier Jahren sind die Mieten in dem Hafenstadtteil um ein Viertel gestiegen. Den Schuldigen haben die Bewohner gefunden: die Stadtteilpolitiker und Investoren, die den Kiez nach ihrem Gusto umbauen wollen. Letztes Beispiel: das geplante Bernhard-Nocht-Quartier im Süden St. Paulis. Dort sollen 78 renovierte Wohnung entstehen - zu entsprechenden Preisen, wie alteingesessenen Mieter befürchteten. Die müssten dann wegziehen: Aufwertung eines Stadtteils nennt man das. Das Interessenbündnis "No BNQ" lief Sturm gegen die Pläne und erschreckte den Investor mit seiner kreativen Kampagne derart, dass er die Zusage gab, die Mieten in den nächsten zehn Jahren nicht zu erhöhen.

Isebekkanal

Vorerst erfolgreich waren die Anwohner in Hoheluft. Am Isebekkanal sollte ein fünfstöckiges Bürogebäude entstehen - zulasten eines Grünzuges. Ein Bürgerbegehren mit 12 000 Unterschriften verlief erfolgreich. Jetzt befürchten die Initiatoren allerdings, dass die Bezirksversammlung diesem Begehren nur formal zustimmte, um einen Bürgerentscheid zu verhindern. Deshalb läuft derzeit ein zweites Bürgerbegehren.