Seit vier Jahren registrieren Qualitätsprüfer der Stadtreinigung wie Ralf Müller alle Verunreinigungen und erstellen so einen Sauberkeitsatlas der Stadt

Hamburg. "Nehmen Sie zum Beispiel Harburg", sagt Ralf Müller, "dort ist es viel sauberer geworden in den vergangenen vier Jahren. Es liegt immer weniger Müll auf den Straßen und Plätzen im Süden Hamburgs." Und nicht nur dort. Der 47-Jährige kann das beurteilen. Ralf Müller ist einer von drei sogenannten Qualitätsprüfern bei der Stadtreinigung. "Hamburg wird Jahr für Jahr sauberer", sagt er. Und das ist mehr als nur eine subjektive Einschätzung. Ralf Müller kann das auch beweisen.

Seit vier Jahren geht er durch die Stadt. Tag für Tag, bei jedem Wetter. Papier, Kaugummi, Zigarettenkippen, Laub, Wildwuchs, Dosen, Scherben, Verpackungen, überquellende Papierkörbe, Hundekot oder wilde Ablagerungen - Ralf Müller und seine beiden Kolleginnen registrieren seit 2008 sämtliche Verunreinigungen in Hamburg.

6 Uhr früh. Ralf Müller erscheint in seinem Büro bei der Stadtreinigung am Bullerdeich. Er schaltet seinen Computer an, und dort erscheint eine Hamburg-Karte. Die 180 Ortsteile sind zu 156 Prüfgebieten zusammengefasst worden. Jedes von ihnen ist wiederum in einzelne Segmente eingeteilt, die zwischen 50 und 1000 Meter lang sind.

Per Zufallsgenerator erfährt er sein heutiges Einsatzgebiet: Die Ludwig-Erhard-Straße beim Michel zwischen Neanderstraße und Fußgängertunnel, danach die rechte Seite der Reeperbahn bis zur Hein-Hoyer-Straße. Im Schnitt schaffen die Qualitätsprüfer 20 Segmente pro Tag.

Ralf Müller ist, wenn man so will, ein Mülldetektiv. Er sieht mit geübtem Blick Dinge, an denen andere Menschen achtlos vorübergehen. Er scannt mit seinen Augen die Geh- und Fahrradwege, die Fahrbahnen und die Parkbuchten, die Treppen und die Verkehrsinseln. Dann zückt er sein kleines elektronisches Eingabegerät und verteilt - je nach Verschmutzungsgrad - Schulnoten von "Eins" bis "Fünf". Die Daten wird er später im Büro auf seinen Computer übertragen.

Gegenüber vom Michel entdeckt er eine "Raucherecke" im sogenannten Begleitgrün neben einem Baum: Drei Dutzend Zigarettenkippen verschmutzen die kleine Rasenfläche. "Hier treffen sich in der Pause die Mitarbeiter aus dem angrenzenden Büro", sagt er.

Im Fußgängertunnel unter der Ludwig-Erhard-Straße sind vor Kurzem die Graffiti von den Kacheln entfernt worden - das gibt eine gute Note. Auf der Reeperbahn verdunkeln Tausende von eingetretenen Kaugummis die Gehwegplatten. "Eine glatte Fünf", sagt Müller. Eine Dauer-Fünf sozusagen, denn Müller sagt, wenn man diese klebrigen Verschmutzungen mit viel Aufwand entfernen würde, wären sie ein paar Wochen später in der gleichen Vielfalt wieder vorhanden.

Auf dem Grünstreifen zwischen den beiden Fahrbahnen entdeckt Ralf Müller eine "wilde Ablagerung". Er macht ein Foto von dem Kühlkistendeckel, den dort wohl ein Fußballfan nach dem Public Viewing entsorgt hat.

Die Reeperbahn ist die einzige Straße in Hamburg, die zweimal am Tag von den Mitarbeitern der Stadtreinigung gesäubert wird. Es ist 9 Uhr, und Ralf Müller sieht sofort, dass die Kollegen heute schon hier waren. Was die Noten zwar beeinflusst. "Aber über das Jahr gesehen gleicht sich das statistisch wieder aus", sagt er.

Ralf Müller ist innerhalb der Stadtreinigung angesiedelt bei der internen Revision. Schnüffelt er seinen Kollegen hinterher? "Nein", sagt er, "das mag am Anfang vielleicht mancher befürchtet haben. Aber die Mitarbeiter sehen uns nicht als Kontrolleure, sondern empfinden das eher als Leistungsanreiz." Das sei manchmal schon wie eine kleine Olympiade untereinander. "Wer ist besser?" Es hilft, dass Müller seit 21 Jahren bei der Stadtreinigung arbeitet. "Das Verhältnis zu den Kollegen ist ganz normal." Und bei einer guten Bewertung wissen sie ihre Arbeit bestätigt und können sagen: "Wir haben einen guten Job gemacht."

Das zahlt sich aus. Mit der Einführung des Qualitätssicherungssystems DSQS bei der Stadtreinigung, das mittlerweile von rund zwei Dutzend Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz benutzt wird, gab es auch Leistungsanreize in Form von Prämien. "Die Mitarbeiter vereinbaren mit ihrem Vorgesetzten jetzt regelmäßig Ziele", sagt Reinhard Fiedler, Sprecher der Stadtreinigung. "Ein paar Hundert Euro" könne jeder Kollege zusätzlich pro Jahr verdienen, wenn er die Ziele erreicht.

Und das heißt, seinen Bereich sauber zu halten. Genauer: die Sauberkeitskennziffer für seinen Reinigungsbezirk zu erreichen, die inzwischen Grundlage für die im Tarifvertrag vorgesehene leistungsabhängige Lohnkomponente ist. Das Erreichen der Kennzahlen ist natürlich je nach Stadtteil unterschiedlich. Zurzeit ist der Sauberkeitsstandard in Hamburg mit der Zahl "11" definiert. "Eine '12' auf St. Pauli ist dann ähnlich gut wie eine '8' in Duvenstedt", sagt Fiedler. Er zeigt Fotos vom Heiligengeistfeld, um deutlich zu machen, was die Zahlen aussagen. Einen Tag vor dem Public Viewing erhielt das Segment die Note 8,5. Am Tag danach gab es für Kippen, Scherben, Dosen und Verpackungen statt einer Zwei eine Fünf, heraus kam insgesamt eine 16,8.

Was heißt überhaupt Sauberkeit im öffentlichen Raum? "Das System berücksichtigt auf Basis wissenschaftlicher Untersuchungen Aspekte, die für die Wahrnehmung von Sauberkeit unterschiedlich wichtig sind", sagt Daniel Bußmann, Regionalleiter der Stadtreinigung. Die Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Wildwuchs im Begleitgrün oder Kaugummi auf einer Verkehrsinsel für die Bürger von geringer Relevanz (Ziffer 5 bis 10) sind, während Fäkalien auf dem Fußweg oder Scherben auf dem Radweg (40 bis 50) ein heftiges Ärgernis darstellen. Aus dieser Matrix von Verschmutzungskriterien und Bewertungsobjekten entstand das Qualitätsbemessungssystem.

Um 12 Uhr ist Ralf Müller wieder in seinem Büro. Er gibt die Daten in den Computer. Aus diesen Tagesmeldungen werden Monats- und Quartalsberichte - und über das Jahr entsteht so ein Sauberkeitsatlas für Hamburg.

"Natürlich ist Hamburg in den Randbezirken, wo es viele Grünflächen gibt, sauberer als auf St. Pauli, auf dem Fischmarkt oder an den Landungsbrücken, wo Tausende von Touristen ihren Müll liegen lassen", sagt Ralf Müller. Er sagt aber auch, dass in Blankenese sehr viele Wände mit Graffiti verschmutzt sind. Und dass es in Mümmelmannsberg sauberer sei, als viele Hamburger glauben.

Ralf Müller räumt eben gerne auf. Auch mit Vorurteilen.