Es gehört zum politischen Konzept des Bürgermeisters, der Hansestadt auf Bundesebene wieder stärker Gehör zu verschaffen.

Hamburg. Noch bevor der Bundesrat am späten Freitagabend zur Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm und den Fiskalpakt schritt, konnte Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) zufrieden Bilanz ziehen. Sein Vorschlag, Bund-Länder-Anleihen im Huckepackverfahren, sogenannte Deutschland-Anleihen, bei der Kreditaufnahme zuzulassen, hatte Eingang in den Kompromiss zwischen schwarz-gelber Regierung und Opposition gefunden. Das neue Verfahren wird den Hamburger Haushalt um 15 bis 20 Millionen Euro jährlich entlasten.

Scholz hatte als einer von fünf Ministerpräsidenten am vergangenen Wochenende an den Verhandlungen mit der Bundesregierung teilgenommen und mit dafür gesorgt, dass die Länderkompetenzen gegen einen wachsenden Zugriff Brüssels gewahrt bleiben. Es gehört zum politischen Konzept des SPD-Politikers, Hamburg auf Bundesebene wieder stärker Gehör zu verschaffen. Scholz vertritt als stellvertretender Parteivorsitzender und Angehöriger der Führungsreserve I der Bundespartei natürlich eigene (Karriere-)Interessen - zugleich knüpft er aber an längst vergangene Zeiten an, als der Stadtstaat bundespolitisch noch Gewicht hatte.

Es war Scholz' oft unterschätzter Vorgänger Ortwin Runde (SPD), der im Juni 2001 als Vorsitzender der Bund-Länder-Kommission in Marathon-Verhandlungen die Einwohnerwertung der Stadtstaaten in der Finanzverfassung retten und bis 2020 sichern konnte. Hier ging es um einen Betrag von umgerechnet 800 Millionen Euro jährlich für Hamburg. "Das hätte die Eigenständigkeit Hamburgs infrage gestellt", sagte Runde damals nüchtern.

Hamburgs politisches Gewicht ist mit drei von 69 Sitzen im Bundesrat verschwindend gering. Einfluss kann die Hafenmetropole nur durch Bündnisse mit stärkeren Partnern, geschickte Verhandlungsstrategie und die individuelle Überzeugungskraft ihrer Protagonisten nicht zuletzt auch im Bundestag erreichen. Traditionell hatte Hamburg vor allem in der alten Bonner Republik großes Gewicht, weil wichtige Akteure aus der Stadt kamen und deren Interessenlage nicht vergaßen. Altkanzler Helmut Schmidt mag da als berühmtestes Beispiel dienen.

Nach dem Regierungswechsel 2001 galten andere Schwerpunkte. Das Konzept der wachsenden Stadt in der Zeit von Bürgermeister Ole von Beust (CDU) stärkte das Selbstvertrauen Hamburgs als Metropole vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht. Dass die Stellschrauben für die Rahmenbedingungen ökonomischer Prosperität vor allem im Berliner und zunehmend auch im Brüsseler Räderwerk zu suchen sind, geriet dabei aus dem Blick.

"Ich habe keinen bundespolitischen Ehrgeiz", bekannte von Beust nach seinem grandiosen Erfolg mit dem Erringen der absoluten Mehrheit bei der Bürgerschaftswahl 2004 freimütig. Er werde sich immer dann einschalten, "wenn es wichtig für Hamburg ist". Als Beispiel nannte von Beust dann sein Eintreten für die Aufnahme der Türkei in die EU, "weil ich an die 80 000 türkischstämmigen Hamburger denke".

Das war gewiss ehrenwert. Aber die so wichtige Kontaktpflege an den Schaltstellen der Macht in Berlin, das geduldige Bohren dicker Bretter war nicht mehr Teil der Hamburger Staatsräson. Vielleicht zeigte sich das am deutlichsten Ende 2005, als es eine kurze Zeit lang so aussah, als ob die Deutsche Bahn ihre Konzernzentrale von Berlin nach Hamburg verlegen würde. Von Beust hatte den vermeintlichen Coup schon verkündet, ehe das Ganze nach einigen Kapriolen doch ziemlich kläglich scheiterte. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), von Beusts Parteifreundin und Vertreterin des Bahn-Eigentümers Bund, hatte den Plänen eine eindeutige Absage erteilt.

Sicher: In erster Linie ist es der jeweilige Bürgermeister selbst, der seinen Einfluss in Berlin und Brüssel geltend machen muss. Es gibt aber eine Vorfeld-Instanz, die im parlamentarisch-administrativen Dickicht der Hauptstadt unerlässlich ist: In Hamburg lautet die Amtsbezeichnung etwas umständlich "Bevollmächtigter der Freien und Hansestadt beim Bund", meist im Range eines Staatsrats. Dienstsitz ist die Hamburger Landesvertretung an der Jägerstraße im Berliner Regierungsviertel.

Von Beusts Mann in Berlin war in den ersten Jahren Staatsrat Reinhard Stuth (CDU), der den Berliner und Brüsseler Regierungsapparat aus früheren Tätigkeiten kannte. Von Beust berief nach der Bürgerschaftswahl 2008 mit Ex-Justizsenator Carsten Lüdemann (CDU) jedoch keinen ausgewiesenen Berlin- oder EU-Experten auf den Posten. Für Lüdemann musste schlicht eine Aufgabe gefunden werden, nachdem die GAL in der neuen schwarz-grünen Koalition Anspruch auf das Justizressort erhoben hatte.

Scholz handelte genau umgekehrt: Mit dem Sozialdemokraten Wolfgang Schmidt leitet seit dem Regierungswechsel 2011 ein intimer Kenner der Berliner Verhältnisse die Hamburg-Vertretung. Schmidt kennt Scholz sehr gut, war dessen Büro- und Planungsstableiter in der Bundestagsfraktion und im Arbeitsministerium.

Diese Personalie allein zeigt, wie wichtig dem Bürgermeister das Berliner Standbein ist. In der Folge des großen Vorsitzenden Scholz mühen sich auch die Senatoren über Bundesratsinitiativen um bundespolitische Meriten - das war allerdings immer so. Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) konnte in dieser Woche als Erfolg vermelden, dass die Hamburger Spezialität der gerichtlichen Mediation auch in Zukunft erhalten bleibt. Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) musste dagegen einen Rückschlag hinnehmen: Ihr Antrag zur Abschaffung der Praxisgebühr fand bei ihren Länderminister-Kollegen nicht die nötige Mehrheit.