Vor Jahrensende soll reiner Tisch gemacht werden. Die letzte Parlamentswoche des Jahres 2011 in Hamburg ist prall mit Entscheidungen gefüllt.

Hamburg. Die Annahme, dass die Adventszeit besinnlich ist, gehört wohl zu den größten Irrtümern der Menschheit. Statt innerer Einkehr ist Kehraus angesagt. Vor dem Jahresende soll reiner Tisch gemacht werden. Kein Controller hat es gern, alte Rechnungen mit ins neue Jahr zu nehmen. Und die Fristen für einige Entscheidungen haben ein natürliches Ende. Die für Geschenke nämlich am 24. Dezember so gegen Mittag bei Ladenschluss. Der parlamentarische Ladenschluss fand am Donnerstag um 23 Uhr statt, als Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) die Sitzung mit den besten Wünschen fürs Weihnachtsfest beendete. Sie setzte damit den Schlusspunkt unter die letzte Parlamentswoche des Jahres, die mit Entscheidungen und Bekanntmachungen kaum praller hätte gefüllt sein können.

Und so stellt sich die Frage, welche Ereignisse denn nun tatsächlich keinen Aufschub vertragen hätten und welchen aus taktischen Erwägungen durch die prominente Platzierung etwas mehr Strahlkraft verliehen werden sollten. Gänzlich unverdächtig kam zu Wochenbeginn die "Beratende Äußerung" des Rechnungshofs daher, in der dem Senat auf der einen Seite Lob für die Haushaltskonsolidierung ausgesprochen wurde. Auf der anderen Seite monierte Rechnungshofpräsident Jann Meyer-Abich, dass der aktuelle Doppelhaushalt nicht auf Basis der tatsächlichen Ausgaben des Jahres 2010 aufgestellt wurde, sondern auf Basis der Planung für 2010. Außerdem sei nicht sichtbar, wie und wo der Senat sparen wolle. Damit äußerte Meyer-Abich exakt die Kritikpunkte der Opposition. Und so triumphierte kurz darauf eine Fraktionsspitze mit folgendem Ausspruch: "Das war mir ein innerer Reichsparteitag."

Unaufschiebbar war die Debatte über die Energiewende. So endete in dieser Woche die Frist für die Bürgerschaft, das Volksbegehren zu übernehmen, welches den 100-prozentigen Rückkauf der Hamburger Versorgungsnetze für Gas, Strom und Fernwärme fordert. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) verteidigte zuvor den Plan, sich zu 25,1 Prozent an den Netzunternehmen zu beteiligen. Dabei las er fast eins zu eins aus seinem Redemanuskript vor. Drei Wochen zuvor in der Generaldebatte über den Haushalt galoppierte er nur so durch seinen Beitrag, für den das Manuskript lediglich so etwas wie ein Ideenanstoß darzustellen schien. Beobachter verglichen den temperamentvollen Auftritt im Stil gar mit einer Wahlkampfrede. Doch an diesem Mittwoch musste Scholz seiner fiebrigen Erkältung Tribut zollen. Sichtlich angeschlagen nahm er nach seiner Rede auf der Senatsbank Platz.

Termingebunden war auch die Abstimmung über die Forschungsförderung. Wäre diese nicht mehr in diesem Jahr durch die Bürgerschaft gegangen, hätte die SPD ihr Vorhaben nicht umsetzen können, die Förderung nicht mehr über die Wissenschaftsstiftung laufen zu lassen, sondern künftig über den Haushalt der Wissenschaftsbehörde. Zudem bekräftigte die Bürgerschaft die Bestandsgarantie für die Historischen Museen. Auch die war terminlich an die Volksinitiative gebunden.

Die Abstimmung über die Abschaffung der Studiengebühren hätte dagegen nicht unbedingt gedrängt. Einen Senatsbeschluss dazu gab es bereits, die Debatte ebenfalls. Die SPD-Mehrheitsfraktion hat das Thema nun durchgewinkt, um ein weiteres Versprechen aus dem Wahlkampf abhaken zu können.

In dieselbe Kategorie passt die Präsentation von 6124 Baugenehmigungen durch Fachsenatorin Jutta Blankau (SPD). Soll heißen: Seht her, unser Ziel von 6000 Wohneinheiten ist schon jetzt übererfüllt.

Es wird auch kein Zufall gewesen sein, dass Schulsenator Ties Rabe (SPD) gerade in dieser Woche seine Zwischenbilanz in Sachen kostenloser Nachhilfe präsentiert hat. Derart positive Nachrichten passen gut in eine Woche, die auf eine folgt, in der sich die Senatoren aus den Ressorts Justiz, Innen und Soziales Volkes Zorn aussetzen mussten, weil sie ehemalige Sicherungsverwahrte in einem Wohngebiet in Jenfeld unterbringen wollen.

Allerdings wäre es unredlich, der Reihenfolge dieser Ereignisse allein taktisches Kalkül zugrunde zu legen. Wie so oft im Leben gibt es auch hier ganz einfache Gründe. Der Bürgermeister geht heute in den Urlaub. "Und Scholz hat ganz gern einen leeren Schreibtisch vor Weihnachten", heißt es aus seinem nahen Umfeld.

Urlaub ist auch einer der Gründe, warum Oppositionsführer Dietrich Wersich (CDU) bereits in dieser Woche einen Frontalangriff gegen Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) startete. Wersich ist seit Freitag in den Ferien. Die mediale Aufmerksamkeit wäre an einem ruhigen Tag in der kommenden Woche sicherlich höher gewesen.

Aber so lud er kurzfristig zur Abrechnung mit Scheele, der bekannt geben musste, dass er 19 Millionen Euro an Arbeitsmarktförderungsmittel an den Bund zurückzuzahlen hat. SPD-Fraktionschef Andreas Dressel schimpfte im Anschluss, dass es "stillos" sei, seinen unmittelbaren Amtsnachfolger zu kritisieren. Wersich lässt das kalt, er hält sein Vorgehen für korrekt: "In meiner Zeit als Sozialsenator war ich nicht für Arbeitsmarktpolitik zuständig."

Es spricht also alles dafür, dass nicht nur die Adventszeit nicht mehr besinnlich wird. Das kommende Jahr wird es mit Sicherheit auch nicht.