Das Sperrmüllkaufhaus Stilbruch feiert zehnten Geburtstag. Wie ein Experiment der Stadtreinigung zum Erfolgsmodell wurde.

Hamburg. Eigentlich sind die Schumachers aus Rahlstedt auf der Suche nach einem Kleiderschrank. Aber dann entdeckt Nicole, 23, die zufällig Modedesignerin werden möchte, ebenso zufällig eine Schneiderpuppe. Die ist wie neu, lässt sich in Größe und Umfang verstellen und kostet bloß 49 Euro. "Im Fachhandel zahlt man dafür weit über 100 Euro", weiß Nicoles Mutter Marion, 52, und prökelt bereitwillig einen Fünfziger aus ihrem Portemonnaie.

Der Kleiderschrank kann noch warten und außerdem kommen morgen bestimmt wieder neue Modelle rein. "Wir schauen öfter mal hier vorbei", sagt sie, "das muss man auch, denn Schnäppchen findet man hier immer, jedenfalls dann, wenn man fix genug ist." Sahnestücke seien häufig schon nach wenigen Minuten wieder weg.

Das bewährte Warenumschlagprinzip - von der CD über Bücher, Möbel, Lampen, Küchenmaschinen, Porzellan, Nippes und, und, und - ist simpel: Wer Sperrmüll loswerden will, vereinbart einen Termin mit der Stadtreinigung. Deren Mitarbeiter sortieren dann beim Abtransport die verwertbaren Teile aus und laden sie auf den Möbelwagen, der stets gemeinsam mit der fahrbaren Müllpresse bei den Kunden erscheint. "Schonender Sperrmüll" nennen sie das hier. Und die Idee dahinter sei es, den Waren einen Wert zu geben, sagt Jens Ohde, 50, der als damaliger Vertriebschef bei der Stadtreinigung das Projekt angeschoben hat. "Früher wurden verwertbare Gebrauchsgegenstände auf den Recyclinghöfen verschenkt", erzählt er, "aber diejenigen, für die das gedacht war, haben ihn gar nicht erst nicht abgeholt."

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Die zweite Variante: Man bringt sein Zeug selbst in die Helbingstraße 91. Dort helfen dann kräftige junge Männer beim Abladen, aber sie achten darauf, dass ihnen kein Schrott untergejubelt wird. "Solche Leute schicken wir weiter zum Recyclinghof", sagt Marc Schultz. Für den 23-Jährigen ist das Gebrauchtwarenkaufhaus ein rettender Strohhalm gewesen, so wie für praktisch alle der 60 Mitarbeiter der Stilbruch GmbH, die seit dem Jahr 2006 eine etwas kleinere Dependance in der Ruhrstraße 51 in Altona unterhält.

40 von ihnen arbeiten seit Juli dieses Jahres in Voll-, der Rest der Mannschaft in Teilzeit. Der überwiegende Teil von ihnen hat - früher noch als ABM-Maßnahme, in jüngerer Zeit als Ein-Euro-Jobber - im Stilbruch angefangen. Sie sind Menschen, die der heutige Arbeitsmarkt gnadenlos aussortiert: nicht genügend qualifiziert, Sozialfall, kein Schulabschluss, oder manchmal auch einfach bloß zu alt, wie Hildegard Scheurer, die vor acht Jahren nach der Pleite ihres Arbeitgebers auf der Straße stand. Jetzt, mit 64 Jahren, ist sie die dienstälteste Angestellte des Stilbruchs und schwärmt im Pausenraum vom guten Arbeitsklima. "Das liegt daran, dass wir alle irgendwie aus den gleichen Gründen hierher gefunden haben", sagt sie, "außerdem ist die Arbeit abwechslungsreich. Ich muss nicht immer an der Kasse sitzen, sondern ich bediene die Kunden oder mache die Preisgestaltung." Zwar seien die gezahlten Löhne etwas niedriger "als draußen", aber es gehe ja nicht immer nur ums Geld. Der gebürtige Kirgise Rudi Arendt, 55, Tischler, vierfacher Familienvater und fünffacher Großvater, nickt. Seine Hauptaufgabe ist es, die angelieferten Möbel zu reparieren und aufzuhübschen. "Neulich rief mein alter Arbeitgeber an, die mich vor sieben Jahren entlassen haben. Die wollten mich zurückhaben, aber ich habe Nein gesagt", erzählt er, sichtlich stolz.

"Was vor zehn Jahren als Experiment begann, hat sich inzwischen zu einem ökonomisch, ökologisch und sozial erfolgreichem Unternehmen entwickelt", freut sich Rüdiger Siechau, Geschäftsführer der Hamburger Stadtreinigung, auf dem Empfang in der Möbelhalle. 2,3 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet die Stilbruch GmbH, trägt sich schon seit Jahren selbst und macht sogar Gewinn. Dass die zuständige Umweltsenatorin sowie der Umweltstaatsrat "den Termin mit großem Bedauern abgesagt haben", wird von der Chefetage registriert, aber nicht kommentiert. Lieber will die Hamburger Stadtreinigung feiern, mit deftiger Gulaschsuppe und Schnittchen an weiß gedeckten Bistrotischen; das Musikerduo Avalange intoniert Swingklassiker, die Stimmung sei aufgeräumt und stelle wohl einen echten Stilbruch dar, sagt Kaufhauschef Jörg Bernhard, 56.

Gern verweist er darauf, dass die Hamburger ein Projekt durchgesetzt haben, was in Berlin leider abgeschmiert sei. "Es war wichtig, dass wir als eigenständiger Betrieb gestartet sind und von Anfang an ein vernünftiges Warenwirtschaftssystem eingeführt haben." Doch der Erfolg der "ersten Adresse für Schnäppchenjäger" sei vor allem auch der motivierten Belegschaft zu verdanken. Er könne sich daher vorstellen, demnächst eine dritte Stilbruch-Filiale zu eröffnen. "Allerdings", sagt Bernhard, "reicht dafür der Nachschub von der Sperrmüllsammlung allein nicht aus."