Wenn Olaf Scholz und die zweite Bürgermeisterin Dorothee Stapelfeldt im Urlaub sind, wer leitet dann die Senatssitzung im Rathaus?

Wenn der Erste Bürgermeister Olaf Scholz die Südtiroler Bergwelt erkundet und die Zweite Bürgermeisterin Dorothee Stapelfeldt, nun ja, auf Ibiza rockt, dann muss die Nummer drei ran, um die Senatssitzung am Dienstag im Rathaus zu leiten. Vakanzen kennt die Geschäftsordnung des Senats nicht. Nur, wer ist die Nummer drei?

Im Senat gilt ein striktes Anciennitätsprinzip. Wenn die Bürgermeister fehlen, muss der dienstälteste und hoffentlich erfahrenste Senator die Sitzung leiten. Dumm nur: Nach dem Regierungswechsel im März sind alle Senatoren zur gleichen Zeit ins Amt gekommen. Damit entscheidet das Lebensalter: So kam es, dass Stadtentwicklungs- und Umweltsenatorin Jutta Blankau in dieser Ferienwoche Regierungschefin auf Zeit war.

Die Tagesordnung war überschaubar, und so hatte das urlaubsbedingte Rumpfkabinett - außer Blankau waren Ties Rabe (Schule), Detlef Scheele (Soziales), Jana Schiedek (Justiz) und Cornelia Prüfer-Storcks (Gesundheit) anwesend - seit 9.15 Uhr ein wenig länger als üblich in der Vorbesprechung über dies und jenes räsoniert. Da wurde die resolute Gewerkschafterin ihrem Ruf gerecht. "Wir müssen jetzt mal zu Potte kommen, um 11.30 Uhr beginnt die Landespressekonferenz", trieb Interims-Senatschefin Blankau ihre Mitregenten an. Das war das Startsignal für die eigentliche Senatssitzung.

Ein Heimspiel für Blankau, schließlich hatte ihre Behörde wohl nicht ganz zufällig fünf der zehn Tagesordnungspunkte beigesteuert. Darunter waren so aufsehenerregende Themen wie die Erweiterung des Naturschutzgebietes Rodenbeker Quellental oder die Nutzungsverordnung für das Reiherstiegknie. Die übliche Frage des Bürgermeisters bei jedem Punkt in die Senatorenrunde, ob es Einwendungen oder ergänzende Hinweise gebe, wandelte Blankau zeitsparend ab. "Es gibt keine Anmerkungen, schließlich kommt die Vorlage ja aus meinem Haus", sagte die Senatorin. Das Protokoll vermerkte keinen Widerspruch.

Nach sieben bis acht Minuten hatte Regierungschefin Blankau die Tagesordnung abgehakt und die Senatssitzung beendet. Das ist zwar rekordverdächtig kurz, aber andere schafften es noch schneller. Ganz weit vorn liegt der einstige Zweite Bürgermeister und Innensenator Ronald Schill, ohnehin kein Freund des langen Palavers. Als Urlaubsvertretung von Ole von Beust arbeitete Schill am 1. August 2003 die Tagesordnung des damaligen Mitte-Rechts-Senats in drei Minuten ab. Einer beherrschte diese Sommerdisziplin der Landesregierungen noch besser: Eugen Wagner, SPD-Urgestein und ein Meister der politischen Schnörkellosigkeit ("Über Selbstverständlichkeiten muss man nicht lange reden"). Wagner war viele Jahre lang Deutschlands dienstältester Minister - er war von Februar 1983 bis Oktober 2001 Chef der Baubehörde und damit einer von Blankaus Vorgängern. "Beton-Eugen", so genannt wegen seiner durchaus ruppigen Art, zog die Senatssitzung am 3. August 1999 in zweieinhalb Minuten durch. Dieser Rekord steht.

Doch derselbe Wagner konnte auch anders. Ende Juli 1987, als er fast allein die politische Sommerwache im Rathaus hielt, ließ er den damaligen SPD-Minderheits-Senat unter Bürgermeister Klaus von Dohnanyi aus dem Urlaub zusammentrommeln. Der Grund: Aktivisten hatten die schon einmal geräumten Häuser an der Hafenstraße erneut besetzt. Wagner wollte die politisch brisante Lage mit den anderen Senatoren und dem damaligen SPD-Bürgerschafts-Fraktionschef, ein gewisser Henning Voscherau, und dem Parteichef, Ortwin Runde, ausführlich erörtern. Es war eben die Zeit weit vor Videokonferenzen und Skype. So eilten die Politiker von Sylt (Dohnanyi und Voscherau), aus Dänemark (Runde und Ex-Sozialsenator Jan Ehlers), Italien und sonst woher ins Rathaus. Rund eine Stunde beriet die Landesregierung, um den Hausbesetzern schließlich ein letztes Angebot für eine friedliche Problemlösung zu machen und vorerst auf einen Strafantrag zu verzichten. Heute sind die einst umkämpften Häuser Teil der politischen Folklore der Stadt.

Heute funktioniert das sommerliche Krisenmanagement natürlich anders. Bürgermeister Scholz erhält jeden Morgen per Mail einen Pressspiegel auf sein Smartphone. Er ist dauerhaft mobil erreichbar, auch unter den schroffen Gipfeln der Drei Zinnen. Es gab in dieser Woche keine krisenhafte Zuspitzung, Scholz musste nicht eingreifen.

Zwar gilt das ungeschriebene Gesetz, dass der Senat an jedem Dienstag, der kein Feiertag ist, in der Ratsstube tagt, über der sich nur Gottes bestirnter Himmel wölbt. Aber das ist nicht zwingend. Der CDU-geführte Senat machte die bislang einzige Ausnahme: Am 5. September 2006 tagte das Von-Beust-Kabinett in der Unteroffiziersmesse des Kriegsschiffes "Hamburg", das zu Gast in seiner Patenstadt war. Auf derlei Sperenzchen wollte sich Jutta Blankau nicht einlassen. Die Sozialdemokraten sind doch die wahren Konservativen.