Unfallopfer kann sich mit Deutschlands höchster Schadenersatzklage nicht durchsetzen. Das Hamburger Gericht lehnt eine Einmalzahlung ab.

Buchholz/Hamburg. Etwas verloren stand Brigitte T., die Mutter der nach einem Unfall hirngeschädigten Sarah, 26, vor dem Saal A 213 des Hamburger Ziviljustizgebäudes. Das, was wenige Minuten zuvor hinter der Tür des Saals verkündet worden war, das müsse sie nun erst mal sacken lassen. Wie sie ihrer Tochter die Kunde von dem Urteil überbringen werde, wisse sie noch nicht. Das Gericht hatte die in ihrer Höhe einmalige 7,25-Millionen-Euro-Schadenersatzklage, die Sarah T. mit ihrem Anwalt seit Jahren gegen die Generali Versicherung betrieb, soeben abgewiesen.

Anstatt der angestrebten Einmalzahlung erhält sie nun eine Quartalsrente. Es sei der Klägerseite nicht gelungen, schlüssig darzulegen, warum eine Einmalzahlung unerlässlich sei, so begründete das Gericht seine Entscheidung. Gleichwohl trug die Kammer dem Haftpflichtversicherer auf, höhere Zahlungen zu leisten, als er dies bisher getan hat, und ausgebliebene Zahlungen zügig nachzuholen. Sarah T.s Anwalt kündigte schon gestern an, in Berufung oder Revision gehen zu wollen - wenn erforderlich, "bis vor den Bundesgerichtshof".

Das Urteil setzt also offenbar nur einen vorläufigen Schlusspunkt hinter einen Streit, der seit 2009 mit einiger Vehemenz und unter den Augen einer wachsenden Öffentlichkeit geführt wurde. Sarah T. war im Dezember 2004 gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann und dem gemeinsamen Sohn in einen Autounfall verwickelt worden. Die damals 19-Jährige erlitt Knochenbrüche und eine schwere Hirnverletzung. Sie sitzt seither im Rollstuhl, wird voraussichtlich ihr Leben lang auf Hilfe beim Essen, Trinken und Ankleiden angewiesen sein. Sie ist ein Pflegefall.

Im Juni 2009 zog die junge Frau aus Buchholz gegen die Generali, genauer gesagt die Haftpflichtversicherung des Unfallwagens, vor Gericht. Sie bemängelte die zu zögerliche Zahlungsmoral jenes Konzerns, bei dem ihre Mutter Brigitte 30 Jahre lang gearbeitet hatte. Außerdem pochte sie - konsterniert von sich wiederholenden Streitigkeiten - auf eine Einmalzahlung des ihr zustehenden Betrags. Eine Forderung, mit der die Haftpflichtversicherung alles andere als einverstanden war, zumal die Frage, ob Sarah T. angeschnallt war, bis dahin nicht geklärt werden konnte.

Glaubt man ihrem Rechtsanwalt Jürgen Hennemann, dann hat auch der Prozess, der gestern vor dem Landgericht zu Ende ging, Sarah T. viel Kraft gekostet. Immer wieder habe die Generali ihr Wort gebrochen, sagt Rechtsanwalt Hennemann. Die Versicherung habe Angebote gemacht, über die es sich kaum gelohnt habe nachzudenken. Man habe einfach billig davonkommen wollen, so der Anwalt. Die Vertreter des Versicherers hingegen werfen vor allem dem Anwalt eine Art Kampagne vor, die er mithilfe der Öffentlichkeit und des Mitleidsbonus' zu initiieren versucht habe. Uwe Cremerius, Abteilungsdirektor Kraftfahrt-Schaden bei Generali: "Der Fall ist für einen Versicherer nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist nur die Art und Weise, in der die Gegenseite agiert hat. Wir haben auch aus sozialer Verantwortung dafür gestritten, dass es nicht zu einer Einmalzahlung kommt. Leider gibt es viele Fälle, in denen die Empfänger das Geld dann verprassen oder in denen sie an dubiose Anlageberater geraten."

Quartalsweise erhält Sarah T., die mit ihrem Sohn und ihrer Mutter in Buchholz wohnt, zukünftig Beträge zwischen 19 800 und 30 500 Euro. Die Beträge steigern sich Jahr für Jahr und sind zunächst bis zum Jahr 2063 festgelegt. Von dem Geld sollen Pflege- und Betreuungskosten sowie Verdienstausfälle ausgeglichen werden. Arzt- und medizinische Behandlungskosten trägt die Krankenkasse. Bislang hatte die Generali etwa 18 000 Euro im Quartal gezahlt. Außerdem muss der Schadenversicherer rund 300 000 Euro an ausstehenden Zahlungen nachleisten.

Rechtsanwalt Hennemann hebt drei Aspekte des Urteils hervor: "Zunächst ist es eine Genugtuung für die Familie, dass die Generali verurteilt wurde und somit gerichtlich klargestellt ist, dass über Jahre Zahlungen unrechtmäßig vorenthalten worden sind. Die Generali trägt jetzt das Kainsmal einer Verurteilung." Zudem habe er bei der versicherungsfreundlichen Einstellung des Hamburger Gerichts und dessen Schlingerkurs schon damit gerechnet, dass weitere Instanzen eingeschaltet werden müssten, so der Anwalt. Und: "Jedenfalls ist meine Mandantin jetzt finanziell in der Lage, den Fortgang des Verfahrens in aller Gelassenheit abzuwarten."

Sarah T. war der Urteilsverkündung gestern ferngeblieben. "Meiner Tochter geht es zurzeit nicht so gut", sagte ihre Mutter Brigitte. "Das Verfahren nimmt sie sehr mit." Mit den zukünftig zur Verfügung stehenden etwa 9000 Euro monatlich kämen sie voraussichtlich nicht klar, fürchtet die Mutter: "Die Pflege ist ein Gut, das in der Zukunft immer teurer werden wird. Ich möchte meiner Tochter ermöglichen, dass sie auch kostspielige Therapien machen kann, wenn sie ihr guttun. Und ich will ausschließen, dass sie in ein Heim muss."