Die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg will von 2012 an eine bessere Versorgung der Patienten in der gesamten Hansestadt erzwingen.

Hamburg. Es ist eine kleine Revolution: Die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg (KVH) will von 2012 an Arztpraxen aufkaufen und in schlecht versorgte Stadtteile verlagern. So könnten also Praxen in der Neustadt oder Eimsbüttel geschlossen und auf der Veddel oder in Billstedt neu eröffnet werden. "Wir müssen sehen, dass wir die Versorgungslage am aktuellen Bedarf ausrichten. Und der ist in sozial schwachen Gebieten größer als anderswo", sagt Dieter Bollmann, Vorsitzender der KVH.

Voraussetzung für diese Pläne ist das "Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung", so der offizielle Name des Reformvorhabens, das am 3. August vom Bundeskabinett auf den Weg gebracht werden soll. Der Bundesrat kann sich damit frühestens in seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause, also am 23. September, befassen.

Aus Koalitionskreisen heißt es, das Versorgungsstrukturgesetz solle Anfang 2012 in Kraft treten. Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums sagte dem Abendblatt, Ziel sei es, die ärztliche Versorgung in strukturschwachen Regionen zu verbessern. "Das gilt für ländliche, aber auch städtische strukturschwache Regionen", betonte der Sprecher.

+++ "Ich bin Kinderarzt und Sozialarbeiter" +++

Grundsätzlich ist die Versorgung der Hamburger mit Ärzten nicht schlecht. Sie zähle sogar zu den besten unter den deutschen Großstädten, heißt es bei der KVH. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn es gibt große Unterschiede zwischen den Stadtteilen. Gerade in sozial benachteiligten Gebieten sind die Versorgungsengpässe noch groß. Ursache ist die Methode, nach der der Ärztebedarf berechnet wird. "Hamburg darf bei der Planung nicht unterteilt, sondern muss von uns als einziger Bezirk betrachtet werden", erklärt Dieter Bollmann.

"In Stadtteilen, in denen viele Hartz-IV-Empfänger leben, ist die ärztliche Versorgung wesentlich schlechter als anderswo", kritisiert Stephan Nagel, Fachreferent beim Diakonischen Werk. Und auch Rico Schmidt, Sprecher der Gesundheitsbehörde, räumt ein: "Es ist immer wieder schwierig für bestimmte Gebiete bestimmte Ärzte zu finden." Das liege unter anderem daran, dass sich immer mehr Fachärzte in Gesundheitszentren organisierten. Häufig erwerben Ärzte auch eine Praxis in einem Problemviertel, schließen diese und lassen sich stattdessen dort nieder, wo sie wirtschaftlich besser zurechtkommen.

Typisch für die Versorgungsengpässe in Hamburger Problemvierteln ist Steilshoop. Die knapp 20.000 Einwohner, fast ein Viertel von ihnen arbeitslos, haben weder einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt noch einen Gynäkologen. Sieben Monate lang gab es für die 3700 Kinder und Jugendlichen dort nicht einmal einen Kinderarzt. Genauso sieht es in Dulsberg aus, wo mehr als 2000 Kinder leben - eine hier vor mehreren Jahren aus Altersgründen aufgegebene Kinderarztpraxis wurde nie wieder besetzt.

Auch die 1293 niedergelassenen Hausärzte sind ungleich über die Stadt verteilt. 52 gibt es für die gut 26.000 Einwohner von Altona-Altstadt. Für die 6500 Menschen in Borgfelde stehen jedoch nur zwei Allgemeinmediziner zur Verfügung, die 5000 Bewohner der Veddel müssen sich eine einzige Hausärztin teilen. Nicht anders sieht es bei den Zahnärzten aus: 43 gibt es in Hamburg-Altstadt, einen in der Sternschanze - und wer in Curslack, Altengamme, Billwerder oder Moorfleet Zahnschmerzen hat, muss in benachbarte Stadtteile wie Lohbrügge oder Bergedorf ausweichen.