Marcus Weinberg wurde mit 71 Prozent der Stimmen zum Landeschef der Hamburger CDU gewählt. Der Partei fehlen derzeit 340.000 Euro.

Rotherbaum. Das Hotel Interconti hat der CDU einst einen Landesvorsitzenden genommen, gestern Abend hat das Haus an der Außenalster der Union einen neuen Parteichef gegeben: Die Mitglieder wählten den Bundestagsabgeordneten Marcus Weinberg mit eher mäßigen 71 Prozent der Stimmen und ohne Gegenkandidaten auf dem Landesparteitag zum Nachfolger von Frank Schira, der nach der desaströsen Niederlage der CDU bei der Bürgerschaftswahl seinen Rücktritt angeboten hatte.

Am 1. März 2010 hatte der damalige Parteichef und Finanzsenator Michael Freytag am gleichen Ort völlig überraschend den Rücktritt von allen Ämtern angekündigt. Freytags Demission löste die Kettenreaktion aus, an deren Ende nach dem Rücktritt Ole von Beusts als Bürgermeister und dem Bruch der schwarz-grünen Koalition der Sturz der Partei in die Opposition stand.

Doch die dramatischen Ereignisse der zurückliegenden 15 Monate und vor allem ihre tiefer liegenden Ursachen blieben auf dem gestrigen Parteikonvent weitgehend ausgeblendet. Weinberg sprach in seiner Nominierungsrede von schwierigen Zeiten für die CDU. "Frank Schira hat in dieser Phase Verantwortung übernommen, während sich andere in Richtung Sonne verabschiedet haben", sagte Weinberg. Wer wollte, konnte das auf von Beust beziehen. Viele Christdemokraten sehen in seinem Rücktritt den Hauptgrund für den Absturz der Partei.

Doch offen wird das nicht ausgesprochen. Es scheint fast so, als erinnere sich die Partei schon wehmütig an die goldenen Zeiten. Der Rücktritt des Erfolgsgaranten von Beust sei "ein Einschnitt für uns alle" gewesen, sagte Schira in seiner Abschiedsrede. "Aber ohne ihn wären wir 2001 nicht an die Macht gekommen und hätten 2004 nicht die absolute Mehrheit erreicht", so Schira. "Wir sollten die hervorragenden Jahre nicht vergessen und nicht kaputtreden", betonte auch Weinberg. Und: "Olaf Scholz ist kein Ole von Beust!" Dafür gab es kräftigen Beifall.

Der Blick ging vor allem nach vorne. "Die Wahlniederlage ist nicht überwunden. Wir müssen gemeinsam die Lehren daraus ziehen", sagte Weinberg und will der CDU dafür Zeit geben. "Wir brauchen länger, um aus dem Tal zu kommen." Mit einer Zukunftskommission, die Ex-Stadtentwicklungssenatorin Herlind Gundelach leiten soll, will er die Programmdebatte vorantreiben.

Eindringlich warnte Weinberg davor, sich jetzt in liberale oder konservative Nischen zurückzuziehen. "Wir müssen Volkspartei bleiben, um Mehrheiten zu erkämpfen", sagte der Bundestagsabgeordnete aus Altona. Vor allem gehe es darum, den Markenkern der Hamburger CDU herauszuarbeiten. "Das christliche Menschenbild in Verbindung mit der europäischen Wertegemeinschaft ist unser Markenkern", so Weinberg. Die Union sei weder nur liberal noch nur konservativ.

Sehr viel genauer wurde Weinberg nicht. "Wir dürfen nicht dem Zeitgeist hinterherlaufen, aber wir müssen auch die Veränderungen der Zeit erkennen", lautete sein eher zwiespältiger Rat. In einem Punkt wurde er konkret. Eines der wichtigsten Themen werde für die Union der Bereich Zuwanderung und Fachkräftemangel sein. Weinberg sprach sich für eine kontrollierte Einwanderung von Fachleuten aus. Einmal in Fahrt, setzte der Mann, der dem Arbeitnehmerflügel der CDU entstammt, noch eins drauf: "Ein Stundenlohn von 3,70 Euro für eine Verkäuferin ist Ausbeutung und hat mit dem christlichen Menschenbild nichts zu tun."

Weinberg nahm sein Wahlergebnis, das wie in der CDU üblich ohne Aussprache zustande kam, sportlich. "Das ist okay", sagte der Vorsitzende, der sich in der ersten Mitgliederbefragung der Partei gegen sieben Kandidaten durchgesetzt hatte. Der Landesverband steht nach kräftigem Mandatsverlust und drastischem Spendenrückgang auch finanziell vor schwierigen Zeiten. Laut Schatzmeister Harald Boberg fehlen der CDU 340 000 Euro bei einem Jahresetat von einer Million Euro.