Hamburg. Über die Wirkung der aktuellen Lebensmittelwarnung sprach das Abendblatt mit Prof. Joachim Westenhöfer, Ernährungs- und Gesundheitspsychologe an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg.

Hamburger Abendblatt:

Die Behörden raten, vorerst ganz auf Salat, Gurken, rohe Tomaten und rohe Sprossen zu verzichten. Ist das übertrieben?

Joachim Westenhöfer:

Ja, denn für eine solch weitreichende Warnung müssten sich die Behörden sicher sein. Nun verlieren sie zunehmend ihre Glaubwürdigkeit. Zuletzt hieß es, dass Sprossen sehr wahrscheinlich die Infektionsquelle seien. Doch selbst in alten Packungen konnten keine EHEC-Keime entdeckt werden. Wenn noch eine Warnung mit anschließender Entwarnung kommt, werden die Verbraucher die Behörden immer weniger ernst nehmen. Die Warnungen sind aber noch aus weiteren Gründen problematisch.

Nämlich?

Westenhöfer:

Ernährungswissenschaftler versuchen seit vielen Jahren, der Bevölkerung eine gesunde Ernährung nahezubringen, mehr Gemüse und Obst zu essen. In dieser Hinsicht sind die aktuellen Empfehlungen kontraproduktiv. Die Behörden warnen zwar nur davor, rohes Gemüse zu verzehren, aber im Bewusstsein der Öffentlichkeit gehen solche Nuancen unter. Bei vielen Menschen bleibt hängen, dass sie grundsätzlich keine Tomaten und keine Sprossen essen sollen. Ich habe meine Zweifel, ob die Behörden die Warnung gut abgewogen haben. Denn womöglich reicht es, die besagten Lebensmittel gründlich zu waschen. Tatsächlich sehen wir, dass viele Verbraucher zumindest vorerst ganz auf Salat, Gurken, Tomaten und Sprossen verzichten.

Welche Menschen lassen sich durch Lebensmittelwarnungen beeinflussen?

Westenhöfer:

Vor allem zwei Gruppen. Einerseits Menschen, die sehr gesundheitsbewusst leben, genau auf ihre Ernährung achten und bei der Wahl ihrer Lebensmittel tendenziell fast ein wenig ängstlich sind. Und andererseits diejenigen, die schon vor der EHEC-Krise nicht gerne Gemüse und Rohkost gegessen haben. Für Letztere sind die Warnungen eine willkommene Rechtfertigung, zu sagen: Ich habe ja schon immer gewusst, dass die Ratschläge für eine gesunde Ernährung nichts bringen, dass Gemüse nicht nützt.

Wer lässt sich nicht beeinflussen?

Westenhöfer:

Das sind einerseits Menschen, die nüchtern abwägen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, tatsächlich von EHEC betroffen zu sein, wenn sie etwa einen Salat essen. Aber andererseits auch Verbraucher, die Gesundheitshinweisen von offiziellen Seiten eh keine große Bedeutung beimessen oder den Behörden sowieso nicht trauen.

Werden die Warnungen das Ernährungsverhalten auch langfristig beeinflussen?

Westenhöfer:

Nein. Die Auswirkungen werden sich nur so lange zeigen, wie die Medien über EHEC berichten. Danach werden die meisten Menschen EHEC schnell vergessen. Das heißt auch: Die Vorsichtigen werden bald wieder Salat essen; die Skeptiker, die von Gemüse wenig halten, werden nachher genauso wenig Gemüse essen wie vorher.