Ein ähnliches Ergebnis wie Scholz bei der Wiederwahl zum SPD-Generalsekretär im November 2003 erreichte diese Woche auch Carola Veit.

Wenn sich ein Politiker in einer Kampfabstimmung knapp durchsetzt, kann das durchaus als ehrenvoll gelten. Eine knappe Mehrheit ohne Gegenkandidaten ist dagegen in der Regel vernichtend. Bürgermeister Olaf Scholz weiß das. Am 17. November 2003 stellte er sich als SPD-Generalsekretär zur Wiederwahl. Die 52,6 Prozent Zustimmung waren ein niederschmetternder Erfolg und die Bestrafung für die in der Partei verhassten Hartz-IV-Reformen des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder. Ein Jahr später trat Scholz zurück.

Fast das gleiche Ergebnis hat Carola Veit in dieser Woche erzielt. Bei der Wahl zur Bürgerschaftspräsidentin erhielt die engagierte SPD-Familienpolitikerin 65 Jastimmen, 46 Abgeordnete votierten gegen sie bei acht Enthaltungen. Der Unterschied: Veit wird nicht zurücktreten, sondern ihren Weg machen, indem sie als junge Mutter zweier Kinder das protokollarisch höchste Amt der Stadt mit neuem Leben füllt.

Ein lehrreiches Fallbeispiel für das Funktionieren von Politik ist die Wahl und ihre Vorgeschichte trotzdem. Veits Kür zur Präsidentin sollte der Schlusspunkt der personellen Weichenstellungen nach dem Regierungswechsel sein. Auf dem Parteitag am Sonntag hatte sich Bürgermeister Scholz sein Kabinett absegnen lassen. Dabei war durchgesickert, dass Veit für den Posten der Bürgerschaftspräsidentin vorgesehen war, für den die SPD als stärkste Fraktion das Vorschlagsrecht hat.

Auf dem Weg nach Hause setzte sich der frühere SPD-Vorsitzende Mathias Petersen ins Auto von Helmuth Kern, legendärer SPD-Wirtschaftssenator und Ex-HHLA-Vorstandschef. "Du musst kandidieren", riet Kern dem noch zögernden Petersen. "Wenn du es nicht machst, sagen die Leute hinterher: Wir hätten dich doch gewählt!" Petersen hatte nach Scholz das zweitbeste Personenstimmen-Ergebnis bei der Bürgerschaftswahl geholt und sah das als Legitimation an, für das hohe Bürgeramt zu kandidieren. Das Angebot von Scholz, Gesundheitssenator zu werden, hatte Petersen zweimal ausgeschlagen, weil er seine Arztpraxis in Altona nicht aufgeben wollte. Das Amt des Bürgerschaftspräsidenten ist dagegen mit einer beruflichen Tätigkeit vereinbar. Petersen war durch den berühmten, nach wie vor nicht aufgeklärten "Stimmenklau" aus einer SPD-Wahlurne um die Bürgermeisterkandidatur 2008 gebracht worden.

Weil Scholz seinem Parteifreund nach dem Senatsposten kein weiteres Angebot machte, entschloss sich Petersen zum Alleingang. Als der Arzt aus Altona dem künftigen SPD-Fraktionschef Andreas Dressel seinen Entschluss am Montag mitteilte, reagierte der wenig erfreut. Die Angaben über das Gespräch widersprechen sich. Nach der einen Sichtweise hat Dressel Petersen damit gedroht, dass er nie wieder etwas werde in der Partei, wenn er bei der fraktionsinternen Entscheidung gegen Veit antrete. Die andere Seite bestreitet das - nicht aber, dass das unabgesprochene Verhalten Petersens seine Einbindung an anderer Stelle erschwere.

Es kam wie schon mehrfach: Petersen durchkreuzte mit seiner Kandidatur gegen Veit die Pläne der Parteispitze und gefährdete den sorgfältig austarierten innerparteilichen Proporz. Sicher: Carola Veit steht mit ihren 37 Jahren für eine jüngere, frischere und attraktivere SPD. Aber es ist eben auch kein Zufall, dass die Juristin dem SPD-Kreisverband Mitte angehört. Und dessen Vorsitzender, der Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs, ist für seine robuste Personalpolitik bekannt. Kahrs reichte das Stück des Kuchens mit den lukrativen Posten, das Scholz für die SPD Mitte vorgesehen hatte, offensichtlich noch nicht. Dabei haben mit Michael Neumann (Inneres) und Jana Schiedek (Justiz) zwei Mitte-Genossen den Sprung in den Senat geschafft. Überdies sitzt mit Dirk Kienscherf ein Mitte-Mann als Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion an einer Schaltstelle der Macht. Aber: Kahrs konnte etwa Mitte-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber nicht als Stadtentwicklungssenator durchsetzen.

Im Vergleich zum größten SPD-Kreis Wandsbek kann sich Kahrs' Bilanz gleichwohl sehen lassen. Wandsbek kommt auch nur auf vier herausgehobene Posten und geht bei den Senatoren sogar leer aus: Aus Wandsbek kommen die Staatsräte Karl Schwinke (Sport) und Elke Badde (Gesundheit) sowie Fraktionschef Dressel und Bürgerschafts-Vizepräsidentin Barbara Duden. Duden hätte gern als Präsidentin kandidiert, durfte aber nicht, auch weil sie das Tableau durcheinandergebracht hätte. "Das Denken in Kreis-Kategorien ist ein bisschen von gestern. Aber man darf den Proporz auch nicht ignorieren", sagt ein Spitzengenosse.

Dass Petersen gegen Veit nur knapp mit 28 zu 32 Stimmen in der Fraktion unterlag, zeigt auch, wie die Stimmungslage in der SPD ist. Alles mögen sich die Abgeordneten nicht "von oben", also von Scholz, vordiktieren lassen. Manche halten Petersen auch schlicht für den besseren Präsidenten. Dass Veit am Mittwoch in der Bürgerschaft beinahe gescheitert wäre, hat mehrere Gründe: Die Opposition nahm den Sozialdemokraten übel, dass sie vor drei Wochen mit Dorothee Stapelfeldt eine Übergangspräsidentin wählen ließen, die nun im Senat sitzt. Manche haben auch nicht vergessen, dass Veit als Vorsitzende des Jugendausschusses kein Vorbild an Überparteilichkeit war. Sie wird sich ändern müssen.