Die Hamburger müssen geduldig sein. Die Stadt wartet. Bürger, Behörden und Verbände wollen Entscheidungen von Bürgermeister Olaf Scholz.

Hamburg. Wohl kaum ein Flugreisender, der sie nicht schon erlebt hat: die Warteschleife. Dieser Zwischenmoment zwischen Reisen und Ankommen. Mit der Gespanntheit der Passagiere, deren Nervosität, was sie nach der Landung erwarten wird, deren Ungeduld, endlich loslegen zu wollen. Das Servicepersonal ist zur Untätigkeit verdammt. Und die Piloten halten den Flieger zwar in der Luft - die Sache also quasi am Laufen -, gleichzeitig warten sie auf einen Ruf des Towers, um endlich mit ihrer Arbeit - der Landung - beginnen zu können.

So in etwa kann man sich derzeit auch die politische Lage in Hamburg vorstellen. Die Stadt wartet. Wartet auf einen Ruf aus dem Rathaus. Wartet auf eine Entscheidung von Bürgermeister Olaf Scholz. Ohne diesen Ruf, darüber wie die Behörden aussehen werden und wer neben Scholz auf der Senatsbank Platz nehmen darf, hängen nicht nur die Behörden, sondern auch die Regierung, die Oppositionsfraktionen, die Kammern und Verbände in der Warteschleife. Der Motor der Stadt läuft zwar, richtig anfangen kann trotzdem keiner.

Aber von Anfang an. Die ersten, die in dieser Woche warten mussten, waren die SPDler selbst. Auf ihren Abgeordneten Frank Wiesner, der sich in den Urlaub nach Togo verabschiedet hatte. Gegen den ausdrücklichen Rat von Fraktionschef Michael Neumann. Zu groß sei das Risiko, durch eine Panne oder einen Flugausfall bei der Bürgermeisterwahl am Montag nicht rechtzeitig zurück zu sein. "Togo-Frank", wie er seitdem scherzhaft genannt wird, flog trotzdem. Es kam, wie es kommen musste: Als die SPD-Fraktion am Montag um 14 Uhr in Raum 151 des Rathauses zum "Zählappell" zusammenkam, fehlte Wiesner.

Erst zu diesem Zeitpunkt erfuhren die meisten Fraktionsmitglieder von der SMS ihres Kollegen, er habe das Flugzeug in Togo verpasst und könne deshalb zur Bürgerschaftssitzung nicht in Hamburg sein. Wer Fraktionschef Neumann kennt, weiß, dass der Mann hart im Nehmen ist. Als Soldat hat er gelernt, sich zu quälen und einzustecken. Wenn also diesem Mann vor "Entsetzen und Fassungslosigkeit die Tränen in den Augen" standen, spricht das Bände. Er hätte mehr Respekt des Abgeordneten vor dem Mandat und der Aufgabe erwartet.

Sieht man sich die Sitzverteilung der neuen Bürgerschaft an, wird klar, warum das Fehlen von Wiesner zu einem Problem hätte werden können. Die SPD-Fraktion hat 62 Mandate. 61 Jastimmen brauchte es, um Olaf Scholz zum Bürgermeister zu wählen. Würde ja noch reichen, mag man meinen, doch ein Problem kommt bekanntlich selten allein. Wiesner war nämlich nicht die einzige unsichere Personalie an diesem Tag. Annkathrin Kammeyer, jüngstes SPD-Bürgerschaftsmitglied, schlug sich seit dem Wochenende mit 40 Grad Fieber herum. Klare Ansage des Fraktionssprechers: "Alle Termine am Montag absagen, Hauptsache du überstehst die Bürgerschaftssitzung."

Und dann war da noch Birte Gutzki-Heitmann, die am Freitag hochschwanger ins Krankenhaus eingeliefert wurde und am Sonnabend Tochter Annike per Kaiserschnitt auf die Welt brachte. Normalerweise Grund genug, etwa eine Woche in der Klinik zu bleiben. Doch Gutzki-Heitmann kam ins Rathaus. Im Rollstuhl und mit Sanitätern in der Nähe ließ sie es sich nicht nehmen, ihre Stimme abzugeben.

Trotzdem waren die letzten Minuten vor Bekanntgabe des Wahlergebnisses in der SPD-Fraktion geprägt von Anspannung und Nervosität. Bekanntlich ging es gut: 62 Stimmen für Scholz. Ein Oppositionsmitglied hatte ihn ebenfalls gewählt.

Damit war das Warten für Scholz vorbei. Für alle anderen begann es erst. Wer bearbeitet künftig in der Fraktion welches Thema, in welchen Ausschuss geht welcher Abgeordnete? Darauf können derzeit weder Regierungs- noch Oppositionsfraktionen antworten. Grund: Die Fachausschüsse hängen vom Zuschnitt der Behörden ab. Diese Entscheidung muss also warten.

Auch in den Behörden kann momentan nichts Zukunftsweisendes entschieden werden. So müssen in der Umweltbehörde zum Beispiel der Ablauf des nächsten autofreien Sonntags sowie Entscheidungen für das Projekt "Umwelthauptstadt 2011" so lange warten, bis eine neue Behördenleitung dies absegnen und der Bürgermeister sein Okay geben kann.

In einigen Präsidialabteilungen wird die Warteschleife zum Überstundenabbau oder für einen Urlaub genutzt. In anderen Behörden warten vor allem diejenigen Mitarbeiter, deren Verträge an den ehemaligen Senator gebunden waren, gespannt und nervös auf die Entscheidungen aus dem Rathaus.

Dort kann von Abwarten und Ausruhen keine Rede sein. "Die Besucher von Olaf Scholz geben sich im wahrsten Sinne des Wortes die Klinke in die Hand", heißt es. Gemeinsam mit dem Chef der Senatskanzlei, Christoph Krupp, brütet Scholz über dem Behördenzuschnitt. Noch immer stehen wohl nicht sämtliche Personalien fest. Zudem arbeitet Scholz akribisch an seiner Regierungserklärung, die er am 23. März abgeben wird, trifft die Mitarbeiter des Planungsstabes und wird am Montag in der Staatsräterunde dabei sein. Die sind übrigens das letzte Überbleibsel der schwarz-grünen Koalition, denn alle alten Staatsräte sind weiter im Amt. Und natürlich gibt es schon zahlreiche Terminanfragen. Handelskammer, Handwerkskammer, Hochbahn - alle wollen ein Gespräch mit Olaf Scholz. Und müssen warten.