Christoph Ahlhaus nimmt heute zum letzten Mal auf der Hamburger Senatsbank Platz. Ahlhaus war nur sechs Monate lang Bürgermeister.

Hamburg. Der Vorsitzende sprach schon eine ganze Weile. Er sprach über das schlechte Wahlergebnis, an dem es "nichts zu beschönigen" gebe, über das Vertrauen, das die Bürger in seine Partei, die Hamburger CDU, verloren hätten. Und er sprach darüber, dass es trotz allem richtig war, dass er, Frank Schira, "Verantwortung übernommen" habe, damals im Frühjahr 2010. Und während er so sprach, nach ziemlich genau fünf Minuten, fiel ihm etwas ein. Ach herrje, das habe er ja ganz vergessen: "Ich begrüße unseren Bürgermeister Christoph Ahlhaus."

Eine Partei vergisst ihren Regierungschef. Deutlicher als beim Mitgliederforum der CDU am Donnerstagabend im Bürgerhaus Wilhelmsburg wurde einem Bürgermeister selten vor Augen geführt, dass seine Zeit abgelaufen ist. Sicher, es war sein letzter öffentlicher Auftritt vor den Parteimitgliedern, gut 300 waren gekommen, und es waren nur noch wenige Tage bis zur heutigen Amtsübergabe an Olaf Scholz. Aber dass der Landesvorsitzende ihn "vergisst" und einige Redner schon von "unserem ehemaligen Bürgermeister" sprachen, das war nicht nett. Das wird ihn getroffen haben.

Doch Christoph Ahlhaus verbarg es. Überhaupt verbirgt er dieser Tage fast alles. Er ist müde, er will nicht mehr kämpfen, nicht mehr reden, sich nicht mehr rechtfertigen müssen für irgendwelche Dienstfahrten, seine Villa und diese Fotos von ihm und seiner Frau in der Illustrierten "Bunte".

Ein bisschen erinnert er fast an den verbitterten Bilbo Beutlin aus dem Fantasy-Klassiker "Herr der Ringe", der sich an seinem 111. Geburtstag von der Last des ihn jung haltenden Rings befreit und eine lange Reise antritt, an deren Ende er endlich der alte Mann sein darf, der er eigentlich ist.

Christoph Ahlhaus ist erst 41. Aber auch er hat viel durchgemacht, vor allem im vergangenen Jahr. Erst vom weitgehend unbeachteten Innensenator zum Kronprinzen von Ole von Beust. Genau ein Jahr ist es erst her, dass Ahlhaus und Schira nach dem Rücktritt von Parteichef Michael Freytag die künftige Machtverteilung unter sich aufgeteilt hatten. Dann, nach dem Rücktritt von Beusts, der überraschend schnelle Amtsantritt als Erster Bürgermeister am 25. August. Der Spagat, die vom Primarschulkampf zerrissene CDU zusammenhalten und gleichzeitig den aufbegehrenden grünen Koalitionspartner bei der Stange halten zu müssen. Dann der Ausstieg der GAL, die ihre strategischen Gründe hinter Kritik an ihm verbirgt. Christoph Ahlhaus habe den liberalen Ole-von-Beust-Kurs geändert, sei nicht verlässlich.

Und dazwischen immer diese Nackenschläge und Demütigungen. Die CDU-Werte rauschen bald in den Keller, von mehr als 30 auf gut 20 Prozent. Der Primarschulgegner Walter Scheuerl setzt sich zwischen Ahlhaus und Schira und sagt, ja, er werde bei der Neuwahl für die CDU kandidieren, aber eigentlich mag er die Partei gar nicht. Eine Frechheit. Und dann präsentiert Scholz auch noch Handelskammer-Präses Frank Horch als künftigen Wirtschaftssenator - den Mann, den Ahlhaus im Sommer holen wollte, aber nicht durfte, weil die Grünen dagegen waren.

Es war zum Verzweifeln, ein aussichtsloser Kampf, und viele in der CDU rechnen es Ahlhaus hoch an, dass und wie er diesen Kampf geführt hat. Dass er unbeirrt über die Märkte der Stadt gezogen ist, dass er der spontan vorgetragenen Arie einer holländischen Opernsängerin auf dem Isemarkt ebenso tapfer gelauscht hat wie den Bedenken Altländer Obstbauern bezüglich der Elbvertiefung.

Auch im Bürgerhaus - Ahlhaus: "unsere gute Stube" - bekommt er dafür noch einmal Lob. Er hält eine letzte matte Rede, er erklärt, dass es nicht erst unter ihm bergab ging ("so einfach ist das nicht"), dass die CDU nie wieder den Fehler machen dürfe, ein Projekt wie die Primarschule zu vertreten, hinter dem sie nicht stehe, dass sie nun Reformen brauche und eine inhaltliche Diskussion, um sich fit zu machen für ein künftige Regierungsbeteiligung. "Nicht mit mir", schiebt er ein, als wenn das ja jemand im Sinn haben könnte. Hat aber wohl niemand, und so ist es nach 13 Minuten vorbei. Es ist kein Abschied, es geht eher zu Ende.

Christoph Ahlhaus geht auf seinen Platz in der ersten Reihe, wo er noch bis kurz vor 23 Uhr aushalten wird. Es gibt kurz Applaus, dann verkündet Versammlungsleiter Philip Buse, der Fahrer des Wagens HH-JJ ... möge bitte wegfahren, er blockiere die Zufahrt. Man kann verstehen, warum Christoph Ahlhaus vorerst nicht mehr sprechen möchte, nicht über das, was er nicht mehr ist oder nicht wird, wie Fraktionschef zum Beispiel. Und auch nicht über das, was er vielleicht wird (Bundestagsabgeordneter) oder ganz sicher - Vater nämlich. Seine Frau Simone ist schwanger.

So verbringt der Bürgermeister seine letzten Amtstage damit, sein Büro aufzuräumen, Akten zu sortieren, aus dem einen Kalender für alle Termine die privaten herauszuschreiben, die anderen, die dienstlichen, bleiben für Olaf Scholz stehen. Er wird heute um 12 Uhr noch einen kurzen Abschied für die Mitarbeiter der Senatskanzlei geben, bei Wasser und Saft sagt man sich Tschüs. Sekt, so heißt es, sei im Rathaus nicht üblich. Vermutlich ist auch niemand in Sektlaune. Gut sechs Monate ist es her, dass Ole von Beust ebenso unspektakulär ging.

Nach der Scholz-Wahl im linken Rathausflügel wird Ahlhaus wohl kurz in sein geliebtes Amtszimmer im rechten Flügel zurückkehren. Er wird letzte persönliche Dinge holen, und wenn er dann geht, beschließt er nicht nur die kürzeste Amtszeit eines Hamburger Bürgermeisters, sondern auch die knapp zehnjährige Regierungsphase der CDU.

Das, immerhin, klingt groß: das Ende einer Ära.