Der 51-Jährige ist einer der engagiertesten Abgeordneten. Trotzdem wurde er abgewählt: “Kollateralschaden des neuen Wahlrechts“.

Hamburg. Wer Thomas Böwer kennenlernen will, muss an Szenen denken, in denen er gar nicht zu sehen ist. Wie im TV-Duell vor den Wahlen 2004: Ole von Beust (CDU) gegen Thomas Mirow (SPD). Nur wenige Zuschauer bemerkten, wie Mirow, als Redner eher spröde, immer näher an von Beust herantrat, Minute um Minute, und ihm schließlich die Hand auf den Arm legte. Eine befremdliche Vertraulichkeit, die den CDU-Politiker wohl erschaudern ließ. Jedenfalls sagte er ein weiteres TV-Duell ab. Der "Wahlkampfstil" sei zu persönlich, sagte von Beust.

Das klang nach Angst, wie der heimliche Regisseur zufrieden feststellte: Thomas Böwer, SPD-Abgeordneter und Hobby-Dramaturg. Er hatte ein Psychogramm über Beust erstellen lassen. Nicht nur, um Sensibilitäten des Gegners auszuloten. Er wollte beim eigenen Mann jene Bissigkeit wecken, die fehlte. Oder war es nur Zufall, dass jenes Psychodokument am Tag des Duells in der Zeitung erschien - Mirow aber dachte, er halte das einzige Exemplar in seinen Händen?

"Wenn es heißt, wir müssen was tun, dann tue ich auch was", sagt Böwer. Damals ging der Wahlkampf für die SPD verloren, aber einen Versuch war es wohl wert. Oft war der 51-Jährige treibende Kraft, ohne im Rampenlicht zu stehen. Im Parlament ist dieser Kampf nach 14 Jahren vorerst beendet: Böwer ist noch bis zur Sitzung am Montag Abgeordneter, dann übernimmt die bisher eher unbekannte Genossin Sabine Steppat sein Mandat.

"Ich bin ein Kollateralschaden des neuen Wahlrechts", sagt Böwer. "Aus vollem Lauf in den Staub zu stürzen, das schmerzt." Ob seine Konkurrentin sich durchsetzte, weil als Wohnort Niendorf hinter ihrem Namen stand, bei Böwer nach einem Umzug aber Eidelstedt - das bleibt Vermutung. Schlaflose Nächte bereiten ihm andere Fragen. Als Vater von fünf Kindern, zwischen vier und 22 Jahren, braucht er nun einen Job. "Und zwei Hunde habe ich auch noch." In der Finanzkrise verlor er seine Stelle als Projektleiter beim Schiffsfinanzierer Lloyd Fonds. Böwer klagte und erhielt eine üppige Abfindung, die aber aufgebraucht ist. Nur das Amt des Vizepräsidenten des Deutschen Familienverbands dürfte ihm derzeit sicher sein. Die Abwahl wird er klaglos akzeptieren müssen. Das ist schade, denn ein freies Mandat zum Querdenken, das ist Böwers Element. Es sagt einiges, dass sein ehemaliger Fraktionschef Michael Neumann bis heute kein Bedauern über sein Ausscheiden bekundet hat. Einige Genossen wünschten sich Böwer als "Senatsbeauftragten" im afrikanischen Daressalam. Oder noch weiter weg.

Böwer schaut sein Gegenüber mit Knopfaugen an, stellt dann Fragen, um sich wenig später selbst die Antworten zu geben, radikale meistens. Er hat einen Riecher für Fehler, vielleicht weil er selber nicht ohne Makel ist. Rivalitäten zwischen Parteien reichen ihm nicht als aufklärerische Kraft. Als die kleine Lara-Mia in Wilhelmsburg verhungerte, kritisierte Böwer auch das SPD-geführte Bezirksamt in Mitte. Er fand, dort wurde zu viel gemeinsame Informationspolitik mit Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) betrieben. "Wenn es ernst wird, fangen Systeme an, sich selbst zu verteidigen."

Böwer zieht aber positive Bilanz. Das Kinderbetreuungsgesetz, das im Jahr 2004 den Ausbau der Kitaplätze forcierte, sei in seinem Büro entstanden. Gemeinsam mit einem pensionierten Polizisten kümmerte er sich auch um Familien, die Probleme mit dem Jugendamt haben. "Das ist das Rückgrat meiner Arbeit, der Rest ist Folklore."

Folkore? Als SPD-Landeschef Ingo Egloff in der Kritik stand, hing eine Fotomontage an Böwers Bürotür, "Ingo Eiermann" lautete die Überschrift ("Kam gar nicht von mir"). Und Böwer stellte Anfragen. Zur HSH Nordbank, zum zurückgetretenen Finanzsenator Carsten Frigge (CDU), zum PR-Etat für die Umwelthauptstadt. 42 Stück hintereinander, wenn es sein musste. So fand er heraus, dass die Sprecherin des Senats auch Interviews für die Gattin des Bürgermeisters Christoph Ahlhaus bearbeitet hatte - und das den Steuerzahler 4,95 Euro kostete.

Der Politiker sitzt übrigens gerne in seinem Büro, telefoniert hier und dort und schmiedet Pläne. Vielleicht sollte ihn der künftige Bürgermeister Olaf Scholz dafür einfach weiter bezahlen.