Sie war das rote Schaf der Familie und verteilt momentan Flyer und Chilischoten: Dora Heyenn, Spitzendkandidatin der Linken.

Hamburg. "Was ich angefangen habe, bringe ich auch zu Ende." Das ist ein schöner Satz. Besonders, wenn er von einer Politikerin stammt. Dora Heyenn, 61, sagt das häufig. Auch an diesem Vorwahl-Nachmittag, an dem es ohne Unterlass regnet und die Spitzenkandidatin der Hamburger Linken sich die "Aktion Hausbesuch" vorgenommen hat. Mit einer schnellen Kopfbewegung schüttelt sie sich vor dem tristen Hochhaus am Rande von Rahlstedt den Regen aus dem Haar, dann drückt sie den ersten Klingelknopf. Um die Schulter hat sie die knallrote Bekenntnis-Tasche mit dem Aufdruck "Hier kommt die Linke" gehängt. "Die meisten reagieren freundlich", wird Dora Heyenn später sagen. Fast ein bisschen verwundert. Vor drei Jahren bei ihrem ersten Bürgerschaftswahlkampf war das noch anders. Da sei sie häufiger angepöbelt und als "Kommunistin" beschimpft worden.

Dass sich das Bild der Elb-Linken geändert hat, hat viel mit ihr zu tun. Dora Heyenn, die auch schon 20 Jahre für die SPD Politik gemacht hat, geht als Vorzeigefrau ihrer Partei durch: kämpferisch, ohne ideologisch zu sein, hart an der Sache orientiert und außerordentlich fleißig. Mit ihr an der Spitze hat sich die sechsköpfige Rathaus-Fraktion über die Parteigrenzen hinweg Respekt verschafft - und auch bei den Berliner Genossen. "Wir haben schon immer gesagt, wir sind gekommen, um zu bleiben", sagt die Lehrerin, die die Bürgerschaft schon mal mit einer "ungehörigen Schulklasse" vergleicht und meist lässig geschnittene Hosen trägt. Sie wirkt glaubwürdig, weil sie auch mal eine Frage unbeantwortet lassen kann. "Es geht um Verantwortung." Bei der bevorstehenden Bürgerschaftswahl ist Heyenn die einzige, die zum zweiten Mal auf Platz eins antritt - alle anderen Parteien haben ihr Führungspersonal ausgetauscht. "Sie ist hoch engagiert. Redet nicht nur, sondern macht auch", sagt ein Mitstreiter. Eine Art Mutter Löwenherz der Hartz-IV-Generation. Deshalb traf es sie auch besonders hart, als die Umfragewerte nach der von Bundeschefin Gesine Lötzsch losgetretenen Kommunismus-Debatte vor drei Wochen auf fünf Prozent fielen und die Linkspartei plötzlich um den neuerlichen Einzug ins Rathaus bangen musste. "Rückenwind sieht anders aus", lautete Heyenns lakonischer Kommentar. Mehr ist ihr dazu auch jetzt nicht zu entlocken.

Viel lieber spricht sie über die SPD und ihren Bürgermeister-Kandidaten Olaf Scholz. Als einer der Mit-Architekten der Agenda 2010 habe der die Arbeiterbewegung verraten, sagt sie. "In mir steckt mehr Sozialdemokratie als in ihm." Gebetsmühlenartig warnt Heyenn vor einer SPD-Alleinregierung und beschwört ganz ungewohnt sogar höhere Mächte. "Davor möge Gott uns bewahren." Auch gut ein Jahrzehnt nach ihrem Parteiaustritt lässt sie ihre alte politische Heimat nicht los. Wie auch.

Die Mutter von drei Kindern hat in Schleswig-Holstein Politik für die SPD gemacht, saß im Kieler Landtag. Ihr inzwischen verstorbener Ehemann Günther war fast 20 Jahre lang SPD-Bundestagsabgeordneter. Sie ging mit, als Oskar Lafontaine 1999 den Parteivorsitz hinschmiss. Er blieb ein politisches Leitbild. Über seine "Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit" kam sie zurück in der Politik - und in die Linkspartei. "Wir haben die Rolle der Treibenden", sagt sie und das macht ihr sichtlich Spaß. Ihr erster Antrag in der neuen Bürgerschaft, das weiß sie schon, wird eine Bundesratsinitiative zur Einführung der Vermögenssteuer sein. "Mal sehen, wie die SPD damit umgeht, wenn sie in der Regierung ist."

Dora Heyenn konnte noch nie zugucken, wenn etwas ungerecht war. "Ich war das rote Schaf der Familie", sagt die Bauerntochter von der Insel Fehmarn. Frauenbewegung, Anti-AKW-Proteste - mit einem Volksschulabschluss in der Tasche arbeitete sie sich bis zur Studienrätin hoch. Chemie und Biologie sind ihre Fächer. "Ich mag es, wenn etwas richtig oder falsch ist", sagt sie. Das gelte auch für die Politik.

"Es macht mich wütend zu sehen, dass eben nicht alle die gleichen Chancen haben, vor allem, wenn es Kinder trifft", sagt Heyenn, die an drei Tagen pro Woche in der Kooperativen Schule Tonndorf unterrichtet. Deshalb hat sie für die Schulreform von CDU und GAL gekämpft, streitet - wie die SPD - für die Abschaffung von Kita- und Studiengebühren. Ihr Ziel, sagt sie, ist, dass die Menschen wieder in Würde von ihrer Arbeit leben können. Viel zu langsam gehe ihr das voran, da werde sie auch manchmal "ganz schön ungeduldig".

Dann liest die Frau, die für ihre schnörkellose Sprache bekannt ist, englische Kurzgeschichten von William Somerset Maugham oder setzt sich an die Töpferscheibe. Wie kurz vor dem Start in die heiße Wahlkampfphase. Vor Neujahr produzierte Heyenn, die es in früheren Zeiten als "Keramik-Päpstin des Nordens" mit eigener Werkstatt zu einiger Bekanntheit gebracht hatte und mehrere Bücher veröffentlichte, in nur zwei Tagen ein ganzes Sortiment Müslischälchen und Becher für ihre Kinder. "Ich sehe gern, was ich gemacht habe." In der Politik, gerade auch in der Opposition, ist das nicht unbedingt einfach. "Aber irgendwo muss man ja anfangen." Warum nicht direkt vor der Haustür, im Wahlkreis 14. Seit einigen Jahren wohnt Heyenn, die sich als 68erin einordnet und jeden Morgen Gymnastik zu Michael Jacksons "Billy Jean" macht, in einem gemieteten Einfamilienhaus in Rahlstedt. In Sichtweite der Hochhäuser, in denen sie ihre Wähler sucht. An 150 Haustüren hat sie an diesem Nachmittag geklingelt. Sie hat fast alle Flyer verteilt, dazu ein Tütchen mit zwei Chilischoten und dem Hinweis "Würzen Sie die Hamburger Politik". Ja, das ist anstrengend. Aber es sieht nicht so aus, als würde Dora Heyenn aufhören, für ihre Überzeugung zu kämpfen. 1000 Haushalte, sagt sie, will sie noch bis zur Wahl besuchen.