SPD-Abgeordneter siegt im Streit um Kleine Anfragen vor dem Verfassungsgericht. Senat muss in Zukunft auch selbst recherchieren.

Neustadt. Schriftliche Kleine Anfragen sind die Nadelstiche, die Bürgerschaftsabgeordnete dem Senat beibringen können. Die Fragen zu allen Belangen der öffentlichen Verwaltung sollen die Regierung zwingen, Farbe zu bekennen, wo sie es vielleicht gar nicht will. Die Folge ist ein ewiger Streit zwischen Bürgerschaft und Senat darüber, wie viel der Letztere von seinem Herrschaftswissen preisgeben muss.

In diesem Ringen um die politische Wahrheit hat das Hamburgische Verfassungsgericht nun die Auskunftsrechte der Abgeordneten eindeutig gestärkt. Der Senat muss in Zukunft auch eigene Recherchen zur Beantwortung kleiner Anfragen anstellen und kann sich nicht allein auf die Aktenlage stützen. Den zur festen Redewendung gewordenen und bei Abgeordneten gefürchteten Hinweis des Senats, dass die Beantwortung der Fragen "in der für die Beantwortung zur Verfügung stehenden Zeit (acht Tage, die Red.) mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich" sei, haben die Verfassungsrichter gekippt. "Das ist eine Leerformel", sagte Gerichtspräsident Gerd Harder kategorisch. Wenn die Zeit zur Beantwortung nicht reicht, muss der Senat im Einzelfall konkret begründen, warum nicht.

Schließlich muss der Senat Teilantworten geben, wo Vollständigkeit nicht möglich ist. "Das Prinzip lautet: so viel Antwort wie möglich", sagte Harder. Wenn dem Abgeordneten die Antwort nicht ausreiche, könne er eine neue Anfrage stellen.

Geklagt hatte der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete und frühere Parteichef Mathias Petersen . In einer Anfrage zum Cruise Center in Altona wollte Petersen Ende November 2009 wissen, welche Senatoren und Staatsräte im Zeitraum von 2004 bis 2007 wem welche Zusicherungen in Sachen Kreuzfahrtterminal gemacht haben. Der Senat verweigerte die Antwort mit dem Hinweis, dass dazu Verwaltungsbeamte 6100 Seiten Akten hätten sichten müssen. "Dazu hätten wir zehn Mitarbeiter eine Woche lang beschäftigen müssen - unmöglich", sagte Carsten Lüdemann (CDU), Staatsrat in der Senatskanzlei.

Außerdem kommen für den Zeitraum 13 Senatoren und Staatsräte in Betracht, die man hätte ansprechen müssen, um zu erfahren, was an Gesprächen nicht in den Akten dokumentiert war. "Sechs sind gar nicht mehr im Amt", so Lüdemann. "In Zukunft müssen wir Senatoren nach ihrer Erinnerung zu einzelnen Vorgängen befragen, auch wenn sie an der Copacabana leben", sagte der Staatsrat und spielte damit auf den vermutlichen Aufenthaltsort des früheren Innensenators Ronald Schill an. Aus Sicht des Senats sind solche Anstrengungen unverhältnismäßig.

Ganz anders sieht es das Verfassungsgericht. "Der Antrag (des Abgeordneten Petersen, die Red.) hat Erfolg, und er ist zulässig", sagte Gerichtspräsident Harder und gab damit dem SPD-Abgeordneten in vollem Umfang recht. Zwar gebe es Beschränkungen der Auskunftspflicht, aber nur in begrenztem Umfang. Nicht antworten müsse der Senat auf Abgeordnetenfragen, wenn dadurch Bundesrecht etwa zum Geheim- oder Datenschutz verletzt würde oder das Staatswohl gefährdet wäre. Außerdem muss der Senat nicht über seine internen Beratungen berichten.

"Dieses Urteil bedeutet einen erheblichen Mehraufwand für den Senat", sagte Lüdemann, der von einem "bedeutenden Paradigmenwechsel" sprach. Bei rund 2000 Kleinen Anfragen allein 2010 könne die Landesregierung das Urteil nur mit deutlich mehr Personal umsetzen.

Petersen freute sich dagegen über den Richterspruch. "Die Rechte der Abgeordneten und damit letztlich auch die Rechte der Bürger sind mit diesem Urteil gestärkt", sagte der SPD-Politiker.

Ob das alle Sozialdemokraten so sehen, von denen sich viele schon auf die Regierungsübernahme nach der Neuwahl am 20. Februar einstellen, bleibt offen. SPD-Bürgermeisterkandidat Olaf Scholz meldete sich gestern jedenfalls nicht von sich aus zu Wort.