Die Sozialbehörde will weitere 170 Roma und Sinti in Billbrook unterbringen. Sowohl Bezirk Mitte als auch die Stadtplaner reagieren entsetzt.

Billbrook. Die Sozialbehörde steht vor einem großen Problem: Die Zahl der Flüchtlinge und Aussiedler, die Hamburg aufnehmen muss, steigt unerwartet stark, doch die entsprechenden Wohnungen fehlen, weil Einrichtungen geschlossen wurden. Nun plant die Behörde, zwei geschlossene Gebäude in Hamburgs größter Wohnunterkunft wieder zu öffnen und mit 170 Flüchtlingen zu belegen. Und das ausgerechnet in Billbrook am Billstieg/Ecke Billbrookdeich, der in einem Industriegebiet nur einen Steinwurf von "der Berze" entfernt liegt - der Aussiedlerunterkunft Berzeliusstraße, die vor zehn Jahren traurige Berühmtheit als unkontrollierbarer, krimineller Slum erlangte und abgerissen wurde.

Entsprechend heftig ist der Widerstand. Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) hält den Plan der Sozialbehörde für "kontraproduktiv" und fordert, andere Unterkünfte wieder zu öffnen, "zum Beispiel in den Walddörfern oder den Elbvororten". Auch die Bezirksversammlung Mitte hat sich gegen den Plan ausgesprochen.

Der renommierte Stadtplaner Professor Dieter Läpple kritisiert die Massenunterbringung als "menschenunwürdig". Er sagt: "Ich begreife nicht, dass man vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Berzeliusstraße jetzt so etwas wieder macht. Das war damals schon eine fatale Politik, die Verlierer so weit auszugrenzen, dass sie keinen Kontakt zur sozialen Umwelt mehr haben."

Auch der CDU-Wahlkreisabgeordnete David Erkalp ist gegen die Unterkunft: "Wir müssen wegkommen von so großen Anlagen, das kann nur schiefgehen. Und die zusätzlichen Flüchtlinge verträgt der Stadtteil Billbrook nicht. Es ist genug."

422 Menschen leben zurzeit in dem ringförmigen Wohnblock, der vom Sozialunternehmen Fördern & Wohnen betrieben wird; die meisten sind Roma und Sinti. Viele Menschen dieser ethnischen Minderheit sind auch unter den 170 neuen Flüchtlingen. "Es sind Großfamilien mit mehr als zehn Mitgliedern, die wir sonst auf mehrere Unterkünfte aufteilen müssten", sagt Julia Seifert, Sprecherin der Sozialbehörde. Wegen der steigenden Flüchtlingszahlen seien "Sofortmaßnahmen einzuleiten", heißt es in einem Schreiben der Sozialbehörde an den Bezirk Mitte. Die Einrichtung Billstieg "ist aufgrund ihrer Platzstruktur, der vorhandenen Infrastruktur und Erweiterungsmöglichkeiten kurzfristig verfügbar".

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Besonders die "bevorstehende Aufnahme von Roma-Großfamilien" würde neue "Konfliktsituationen" schaffen, heißt es in einem Antrag der SPD/GAL-Koalition. Schreiber führt ein Papier des Personalrats von Fördern & Wohnen ins Feld, woraus man deren Einstellung zur öffentlichen Unterbringung am Billstieg entnehmen könne: "Hier drohen Zustände, wie wir sie aus der Berzeliusstraße kannten. Schon jetzt ist die Unterkunft zu groß, Vandalismus, Aggressivität und Gewalt sind an der Tagesordnung." Augenzeugen berichten, dass die Polizei Einsätze am Billstieg nur mit mehreren Peterwagen fährt und dass immer ein Polizist bei den Wagen bleibt, um zu verhindern, dass die Reifen zerstochen werden.

Der Stadtplaner Dieter Läpple sagt: "Bei einer Isolierung der Flüchtlinge in einem abgetrennten Wohnblock im Industriegebiet gibt man den Menschen keine Chance. Das ist eine Form der Ausgrenzung." Die sozialökonomische Ausgrenzung der Zuwanderer und Wohnungslosen würde durch eine stadträumliche Ausgrenzung weiter verschärft. Läpple: "Und durch die hohe Konzentration auf engstem Raum werden die Differenzen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen und Menschen unterschiedlicher Nationalitäten in einer bedrohlichen Weise verstärkt. Das betrifft besonders Kinder. Ihnen müssen wir nicht nur aus humanen und sozialen Gründen, sondern auch aus eigenem Interesse helfen. Sonst produziert man die Probleme von morgen." Kinder müssten die Chance haben, ein anderes Leben kennenzulernen, und das gehe nur über ausreichende soziale Kontakte mit anderen Lebenswelten. Sonst könnten sie einem Getto nicht entkommen. Eine zentrale Rolle spiele die Schule. Aber auch stadtplanerische Maßnahmen seien gefragt: Wohnungen für diese Menschen sollten in einer normalen Siedlungsstruktur untergebracht sein.

Der Bezirk wird seinen negativen Beschluss (ein Papier, das die Ablehnung begründet) der Sozialbehörde übergeben, danach will man sich zusammensetzen. Wenn die Flüchtlinge kommen, fordert der Bezirk "flankierende Maßnahmen", wie zusätzliche Sozialabeiter, eine Betreuung (die es bis jetzt nicht gibt), Videoüberwachung und weitere Sicherheitsmaßnahmen.