Abendblatt-Redakteur Peter Ulrich Meyer leitet die Landespolitik-Redaktion und berichtet über die neuesten Entwicklungen in der Politik.

Hamburg. Was darf ein Senat, der keine Mehrheit in der Bürgerschaft mehr hat? Auf den ersten Blick: fast nichts. Der CDU-Rumpf-Senat, der seit dem schwarz-grünen Koalitionsbruch vor drei Wochen im Amt ist, muss sich wechselnde Mehrheiten suchen, um eigene Projekte durchs Parlament zu bringen. Die Neigung der Opposition von SPD und Linken, die Regierung zu stützen, ist naturgemäß gering und wird nur von der Abneigung der GALier übertroffen, mit dem Partner von "gerade eben" noch gemeinsame Sache zu machen. Einig waren sich die vier Fraktionen in dieser Woche nur darin, die Legislaturperiode vorzeitig zu beenden.

Auf den zweiten Blick haben Bürgermeister Christoph Ahlhaus und sein Kabinett aber durchaus politischen Gestaltungsspielraum bis zur Neuwahl am 20. Februar. Das normale Verwaltungshandeln von Behörden und Ämtern läuft schließlich weiter, und hier wollen die Christdemokraten erkennbar Duftmarken setzen und so ihre katastrophale Ausgangslage vor der Entscheidung der Bürger verbessern.

Manchmal geht es auch nur um Symbole, wie am Freitag. Da stimmte Hamburg im Bundesrat für die Hartz-IV-Reformen der schwarz-gelben Bundesregierung. Streng genommen hat der Senat keine Legitimation mehr für solch ein Votum. Wären die Reformgegner von der GAL noch im Bündnis, hätte sich Hamburg in der Länderkammer enthalten. In der Bürgerschaft gibt es eine Mehrheit gegen die Änderungen der Regelsätze für Hartz-IV-Empfänger. Andererseits: Verboten ist es auch nicht, auf eigene Faust abzustimmen.

Für Ahlhaus ist das Ja zu den Reformen eine schöne Vollzugsmeldung an Bundeskanzlerin Angela Merkel, auch wenn sie am Ergebnis der Abstimmung - dem Nein des Bundesrats - nichts geändert hat. Aber wer weiß: Vielleicht zahlt sich die Hamburger Kanzlerin-Treue ja in der Weise aus, dass Merkel den Druck auf Parteifreund David McAllister, den Ministerpräsidenten von Niedersachsen, in Sachen Elbvertiefung erhöht. Ein Ja der störrischen Nachbarn im Süden Hamburgs könnte Ahlhaus im Bürgerschaftswahlkampf gut gebrauchen. Aber nein, so hintenrum funktioniert Politik ja nicht ...

Einer, der den direkten Weg geht, ist der neue Schulsenator Dietrich Wersich (CDU), nebenbei nach wie vor auch für Soziales und Verbraucherschutz zuständig. Wersich hat eine Top-Personalie der Schulbehörde entschieden, die zufällig gerade jetzt anstand. Prof. Josef Keuffer von der Uni Bielefeld wird Nachfolger von Peter Daschner, dem langjährigen Direktor des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung, der in den Ruhestand geht.

Wersich hatte zunächst angesichts der eher dürftigen Bewerberlage gezögert. Nach Abendblatt-Informationen wollten nur zwei Kandidaten den Job an der Spitze des Lehrerinstituts. Doch dann ergriff der Senator beherzt das Heft des Handelns und hinterlässt so in der Behörde, die er möglicherweise nur wenige Monate leitet, auf Dauer seine personalpolitische Handschrift.

Schnelle Handlungsfähigkeit hatte Wersich bereits bei der Versetzung des Chefplaners der gescheiterten Schulreform, Hans-Peter de Lorent, bewiesen. Der Beamte mit GAL-Parteibuch ist nun Projektleiter im Landesinstitut. Es verdichten sich allerdings die Hinweise, dass die abrupte De-Lorent-Abberufung der politische Preis dafür war, dass Schulreformgegner Walter Scheuerl auf der Liste der CDU für die Bürgerschaft zu kandidieren bereit war - und nicht Wersichs eigene Idee.

Auch der bislang glücklose Kultursenator Reinhard Stuth (CDU) versucht auf den letzten Metern, personalpolitische Spuren im Amt zu hinterlassen. Kampnagel-Chefin Amelie Deuflhard kann sich über Stuths Angebot einer vorgezogenen Vertragsverlängerung freuen. Auch Kunsthallen-Chef Hubertus Gaßner wird nach der Einigung mit Stuth langfristig weiterbeschäftigt.

Die Krönung aller Personalien wäre für den Senator jedoch die Nachfolge für den zurückgetretenen Schauspielhaus-Intendanten Friedrich Schirmer. Solche Entscheidungen ohne Absicherung durch eine Senatsmehrheit sind wegen ihrer langfristigen Wirkung nicht nur in den Reihen der Opposition heftig umstritten. Die SPD würde nach einem Wahlsieg natürlich ohnehin lieber selbst entscheiden, wer neuer Chef des Schauspielhauses wird.

Wenn der Senat keine eigene Mehrheit in der Bürgerschaft hat, gibt es logischerweise eine rechnerische Mehrheit gegen ihn. Doch diese Majorität von SPD, Linken und GAL zog in dieser Woche nicht. Der Versuch der Linken, die Studiengebühren auf diesem Weg mal eben abzuschaffen, scheiterte. Zwar sind auch SPD und GAL gegen die Gebühren, aber SPD-Fraktionschef Michael Neumann sprach sich klar gegen "Zufallsmehrheiten" aus.

Da waren frühere Bürgerschaften in solchen Phasen des Interregnums weniger zimperlich. 1997, kurz vor dem ersten rot-grünen Koalitionsschluss, setzten CDU und GAL (!) gegen die SPD eine Verwaltungsreform durch, die den Bezirksversammlungen mehr Rechte einräumte. Das empfanden die Sozialdemokraten damals als "fette Kröte", die sie schlucken mussten, um zu einem Bündnis mit der GAL zu gelangen.

Und sogar schon in den 80er-Jahren waren sich Schwarze und Grüne manchmal darin einig, die Roten zu ärgern: CDU und GAL kippten 1986 die Getränkesteuer und eine Verdoppelung der Hundesteuer und senkten auch noch die Müllgebühren. Noch dreimal tagt die Bürgerschaft bis zur Wahl: am 19. und 20. Januar sowie am 9. Februar. Vielleicht führt der günstige Augenblick der Machtlosigkeit ja doch noch dazu, dass Denkzettel in die eine oder andere Richtung verteilt werden.