Vier Projekte besuchte die Bundeskanzlerin in ihrer Geburtsstadt. Allerdings nicht für den Wahlkampf: Sie sei auf “Integrationsreise“.

Wilhelmsburg. Ein bisschen aufgeregt sei er schon. Und gespannt. "Ob die Bundeskanzlerin in echt genauso aussieht wie im Fernsehen", sagt der zehnjährige Norbert, der mit seinen 18 Mitschülern aus der Klasse 4a im Schneeregen vor der Grundschule Rotenhäuser Damm auf Angela Merkel wartete. "Sie hat doch immer so einen roten Hosenanzug an."

Gestern nicht. Da hatte die Kanzlerin zur schwarzen Hose Beige kombiniert. Um 10.56 Uhr entstieg sie ihrer Limousine, gab jedem der wartenden Wilhelmsburger Grundschüler, von denen viele ausländische Wurzeln haben, freundlich lächelnd die Hand. "Ich bin genauso die Bundeskanzlerin dieser Kinder, wie ich die Bundeskanzlerin der Kinder bin, deren Familien schon jahrhundertelang in Deutschland leben."

In der Hansestadt, wo sie am 17. Juli 1954 auf die Welt gekommen ist und die ersten Monate ihres Lebens an der Isestraße 95 verbracht hat, besuchte die Bundeskanzlerin gemeinsam mit Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) vier verschiedene Projekte, darunter einen Sprachkursus für Mütter mit Migrationshintergrund. "Ich bin hier auf Integrationsreise", sagte die Kanzlerin im Laufe des Tages immer wieder und meinte damit wohl "nicht auf Wahlkampf-Tour". Jedenfalls nicht offiziell, war der Besuch an der Elbe doch eigentlich für den 1. November geplant gewesen und dann wegen der Trauerfeier für Loki Schmidt auf Dezember verschoben worden. Kein Wort verlor die Kanzlerin über den schwarz-grünen Koalitionsbruch oder zur Lage der Hamburger Christdemokratie. Lieber sprach die CDU-Spitzenpolitikerin, die von der Integrationsbeauftragten des Bundes, Maria Böhmer, begleitet wurde, über die "deutsche Sprache als Schlüssel zur Integration."

Zunächst nahm sich die Bundeskanzlerin eine Dreiviertelstunde lang Zeit für zehn Frauen, die in einem kostenlosen Sprachkursus der Hamburger Volkshochschule, die seit 2001 und mittlerweile an 44 Schulen dieses Angebot macht, Deutsch lernen.

Die Frauen seien "motiviert" und "mit Freude bei der Sache", beschrieb die Kanzlerin ihren Eindruck. "Es zeigt sich, dass wir jeden - egal, in welchem Alter - ermutigen sollten, die deutsche Sprache zu lernen." Die Mütter, die derzeit zweimal pro Woche in der Grundschule Rotenhäuser Damm an einem solchen Sprachkursus teilnehmen, hatten natürlich auch Fragen an Angela Merkel. "Viele sind besorgt um die Zukunft ihrer Kinder. Sie wollten zum Beispiel wissen, was die Regierung tut, um Schulabbrechern mit Migrationshintergrund doch noch einen Einstieg ins Berufsleben zu ermöglichen", sagte Heike Kölln-Prisner von der Hamburger Volkshochschule.

Nach einem Besuch bei einer Bürgerinitiative ausländischer Arbeitnehmer und auf dem Polizeikommissariat PK 42 in Billstedt traf die Kanzlerin am Nachmittag im Kulturpalast im Wasserwerk elf jugendliche Tänzer der Hip Hop Academy zum Gespräch. Das bundesweit bisher einzigartige Tanzprojekt, in dem derzeit 450 junge Hamburger in 60 Kursen trainieren, erreicht Jugendliche aus allen Stadtteilen.

"Man lernt Respekt zu haben und nimmt Rücksicht aufeinander", sagte Stefan Schönfeld, 22, aus Wilhelmsburg. Die Kanzlerin zeigte sich beeindruckt - davon, dass manche Tänzer auch mal bis zu acht Stunden täglich üben, und davon, dass man kreative Schrittkombinationen nicht einfach abkupfern dürfe. "Ach, man darf nichts nachmachen?", hakte Angela Merkel interessiert nach. "Na ja, aber inspirieren lassen darf man sich doch, oder?" Kollektives Kopfnicken. Die Kanzlerin versprach, auf die Erfolge der Tänzer künftig "ein starkes Auge" zu haben.

Die Jugendlichen dankten der Kanzlerin - das tat auch Bürgermeister Christoph Ahlhaus: "Mir ist wichtig, dass wir dem Thema Integration so noch einmal mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen konnten." Und die Kanzlerin? Welche der "funky moves" hatten ihr denn nun in der Tanzvorführung der Jugendlichen am besten gefallen? "Mich hat beeindruckt, dass es nicht darauf ankommt, woher man kommt, sondern was man kann." Dabei setzte die Kanzlerin auf ihre besondere Zeichensprache: mit den Fingern formte sie die berühmte Raute.

Ein bisschen sieht die Bundeskanzlerin in echt also aus wie im Fernsehen.