Es war Altbürgermeister Henning Voscherau, der die Maxime des Regierens in einer großen Kommune wie Hamburg auf eine einprägsame Formel brachte. "Kein spielerischer Umgang mit den Grundfunktionen der Stadt", forderte der SPD-Politiker schon in den 90er-Jahren und stichelte damit gegen die Grünen, die als potenzieller SPD-Koalitionspartner im Rathaus zwar manch weitreichende Reformidee, aber nicht immer die konkreten Sorgen und Nöte der Bürger vor Augen hatten.

Voscherau ging es damals um die Wettbewerbsfähigkeit des Hafens und die Sicherheit der Arbeitsplätze - Stichwort Elbvertiefung und Hafenerweiterung Altenwerder -, aber ebenso um eine funktionierende Ver- und Entsorgung oder gute Schulen. Kurzum: Wer diese Stadt regiert, der muss ganz wesentlich die Bereiche der akuten Daseinsvorsorge im Blick behalten, deren Wahrnehmung wir Bürger in der modernen Zivilisation an den Staat abgetreten haben. Es besteht eine berechtigte Erwartungshaltung auf Seiten der Bürger und eine Bringschuld von Politik und Administration. Wir zahlen schließlich auch dafür.

Das Thema ist verblüffend aktuell. Als das Abendblatt zu Beginn der Woche über das Baustellenchaos auf Hamburgs Straßen berichtete, entstand plötzlich der Eindruck, dass Schwarz-Grün nicht imstande ist, eine Grundfunktion städtischer Mobilität zu gewährleisten: den Verkehrsfluss. Um nicht missverstanden zu werden: Es geht nicht darum, dass der Verkehr gelegentlich stockt. Es geht darum, dass die Einrichtung und Dauer von Baustellen offensichtlich infolge Personalmangels nicht aufeinander abgestimmt sind und so unnötige Staus entstehen.

Das Echo war bedeutsam. Am lautesten schrillten die Alarmglocken im fernen Karlsruhe. Dorthin waren Bürgermeister Christoph Ahlhaus und Fraktionschef Frank Schira gereist, um am Bundesparteitag der CDU teilzunehmen. Die beiden waren äußerst verärgert über die negativen Schlagzeilen, und so wurde heftig mit Hamburg telefoniert. Krisenmanagement aus der Ferne gewissermaßen.

Ahlhaus und Schira sehen sich als Sachwalter von Bürgerinteressen. Ahlhaus speziell will bei den Wählern damit punkten, dass er stets ein Ohr für sie und ihre Sorgen hat. Staus auf den Straßen empören nun einmal die Autofahrer, also war Gefahr im Verzuge. Zuständig für den Verkehrsfluss ist aber die von der GAL geführte Stadtentwicklungsbehörde.

Da aber der Haussegen bei Schwarz-Grün wegen der Dissonanzen rund um den Rauswurf von HSH-Vorstandschef Dirk Jens Nonnenmacher ohnehin schief hängt, nutzten Ahlhaus und Schira die Gelegenheit zu einem kleinen Revanchefoul in Richtung Grün. Der CDU-Verkehrspolitiker Klaus-Peter Hesse erhielt freie Hand, die GAL-geführte Behörde zu kritisieren. "Wir brauchen in Hamburg eine bessere Koordinierung der Baustellen. Da deren Zahl immer weiter ansteigt, muss das Personal aufgestockt werden", forderte Hesse. GAL-Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk entsandte am Tag nach dem Bericht immerhin einen weiteren Mitarbeiter in die Koordinierungsabteilung, sodass sich dort nun vier Beamte um die Baustellen kümmern. Dabei ist Hajduk zuzutrauen, dass sie nicht erst des Hinweises von Hesse bedurfte.

Die Woche hielt noch einen weiteren Beleg für den Eindruck bereit, dass sich Schwarz-Grün derzeit mit dem Funktionieren simpler Vorgänge der Verwaltung schwertut. Mitte der Woche wurde bekannt, dass die Jugendämter mit dem Ausstellen von Kita-Gutscheinen nicht nachkommen, was erste Kitas schon in Existenznot bringt, weil die Einnahmen wegbrechen. Ein wesentlicher Grund: Es gibt einen Bearbeitungsstau bei der Berechnung der neuen Kita-Gebühren, die Schwarz-Grün trotz erheblicher Proteste durchgesetzt hat. Hier liegt der Ball im christdemokratischen Spielfeld.

Auch Kita-Senator Dietrich Wersich (CDU) handelte nach bewährtem Muster: Schnell kündigte er an, zusätzliche Mitarbeiter in die Krisenregionen der Ämter zu entsenden, um den Engpass zu beseitigen. Dabei war das Problem natürlich schon länger bekannt. Gehandelt wurde aber erst, als der öffentliche Druck da war. In der CDU fragen sich nun die ersten, ob Kosten und Nutzen dieser Gebührenerhöhung wirklich im Einklang stehen, wenn die Umsetzung solche Probleme bereitet.

Was passieren kann, wenn die Rathaus-Politik Bedürfnisse oder Gefühle weiter Teile der Bevölkerung nicht ernst nimmt, zeigt das Beispiel von Hartmuth Wrocklage. Der Sozialdemokrat war Innensenator in den 90er-Jahren, als die Kriminalitätsentwicklung bei bestimmten Delikten in Hamburg besorgniserregend nach oben wies. Trotz des Anstiegs bei den Gewaltstraftaten, von denen sich Menschen unmittelbar bedroht fühlen, verkündete Wrocklage gebetsmühlenhaft: "Die Sicherheitslage in Hamburg ist weiterhin stabil." Oder: "Die Stadt ist sicher." Der Senator und die rot-grüne Koalition ignorierten das Sicherheitsgefühl der Bürger viel zu lange. Schließlich musste Wrocklage zwar seinen Hut nehmen, doch sein Nachfolger Olaf Scholz konnte trotz markiger Sprüche das Blatt nicht mehr wenden. Rot-Grün hatte den Aufstieg des Mannes begünstigt, der sie schließlich die Macht kostete: Ronald Schill.

Schwarz-Grün muss aufpassen, dass sich nicht der Eindruck verfestigt, die Koalition könne ebenfalls die Grundfunktionen der Stadt nicht gewährleisten. Hamburg müsse in der Lage sein, so Altbürgermeister Ole von Beust zu Jahresbeginn, Wege und Straßen von Schnee und Eis zu befreien, damit sich die Bürger nicht ihre Knochen brechen. Damals wurde die Stadtreinigung der Eislage nicht Herr. Nun steht der Winter wieder vor der Tür.