Senatorin Christa Goetsch nimmt heute am Integrationsgipfel teil. Der Vertrag mit den Muslimen soll das Zusammenleben verbessern.

Hamburg. Die Zweite Bürgermeisterin und Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) nimmt heute am Integrationsgipfel teil, zu dem Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Bundeskanzleramt eingeladen hat. Im Abendblatt-Interview benennt die GAL-Politikerin ihre Forderungen zur Integration, spricht aber auch über Versäumnisse und Defizite der Politik in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Goetsch bekennt sich zu einem Grundlagenvertrag mit den muslimischen Vereinen in Hamburg und lehnt zusätzliche Forderungen der CDU ab.

Hamburger Abendblatt:

Hand aufs Herz, Frau Goetsch, rechnen Sie noch damit, dass die schwarz-grüne Koalition den bundesweit ersten Grundlagenvertrag mit den muslimischen Gemeinden in Hamburg schließt?

Christa Goetsch:

Die Gespräche sind ja in der letzten Legislatur von der CDU initiiert worden, was meines Erachtens ein großer Schritt war. Als Grüne sind wir gerne mit in die Verhandlungen gegangen, und wir gehen davon aus, dass wir die getroffenen Vereinbarungen zu einem guten Ergebnis zusammenführen werden. Welchen formalen Status die Vereinbarung erhalten kann, muss juristisch geprüft und dann geklärt werden.

CDU-Fraktionschef Frank Schira hat die Hürden für eine solche Einigung deutlich heraufgesetzt. Unter anderem hat er verlangt, die Muslime sollten sich zum Existenzrecht Israels bekennen. Gehört das in eine solche Vereinbarung?

Goetsch:

Nein. Die Vereinbarungen betreffen ja Dinge des alltäglichen Zusammenlebens, zum Beispiel Regelungen zum Thema Bestattungen oder zur Ausübung der Religionsfreiheit.

Und wie sieht es aus mit den Rechten der Frauen oder der Homosexualität? Oder, auch ein Thema, das Frank Schira angesprochen hat, mit der Verfolgung der Christen im arabischen Raum?

Goetsch:

Da es um das Zusammenleben in Hamburg geht, war die Verfolgung von Christen im arabischen Raum nicht Gegenstand der Verhandlungen. Für die anderen Fragen gilt das Grundgesetz, und das wird von allen Beteiligten ausdrücklich anerkannt. Sonst würden solche Gespräche nicht geführt.

Die CDU entdeckt gerade ihren konservativen Kern wieder. Ist es da nicht besonders schwierig, ihren Koalitionspartner davon zu überzeugen, mitzuziehen?

Goetsch:

Die CDU hat das Ganze ja initiiert, und sie steht auch heute zu den Verhandlungen.

Warum brauchen wir diesen Vertrag?

Goetsch:

Aus dem Anspruch heraus, sich auf Augenhöhe mit allen Religionen über das Zusammenleben zu verständigen. Wir sind eine Einwanderungsstadt mit mehr als 160 Religionsgemeinschaften. Auch der Islam gehört zu Deutschland. Wir haben nicht nur die großen christlichen Kirchen und die jüdische Gemeinde, mit denen es Verträge gibt. Insofern fehlt eine vergleichbare Vereinbarung mit den Muslimen und den Aleviten.

Glauben Sie denn, dass ein Vertrag bis in die untersten Ebenen der muslimischen Gemeinschaft akzeptiert werden würde?

Goetsch:

Ein Vertrag zwischen Institutionen kann keine Anweisungen darüber geben, wie einzelne Menschen sich zu verhalten haben. Es geht darum, Fragen im Rahmen der Religionsausübung gemeinsam sinnvoll zu klären. Bis hin zum Religionsunterricht und der Ausbildung von Lehrern.

Könnte ein solcher Vertrag ein Modell für ganz Deutschland sein?

Goetsch:

Sicherlich haben wir damit eine Vorbildfunktion.

Inwieweit hat Thilo Sarrazin mit seinen Thesen die Stimmungslage in Deutschland verändert?

Goetsch:

Mit populistischen Forderungen kommt man nicht weiter. Unsere Aufgabe ist es, jedem, der neu einwandert oder hier in zweiter oder dritter Generation lebt, die Möglichkeit zur Teilhabe zu geben.

Die Grünen reden seit 20 Jahren davon, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Wesentliche Teile der Bevölkerung scheinen das anders zu sehen. Wie können Sie diese Menschen überzeugen?

Goetsch:

Besonders wichtig ist für mich die Vorbildfunktion. Es gibt inzwischen viele Unternehmen, die von Migranten geführt werden. Das Zusammenleben funktioniert in vielen Bereichen doch längst. Das ist gesellschaftliche Realität. Viele Handwerksbetriebe könnten gar nicht mehr existieren, wenn sie nicht die jungen Leute mit Migrationshintergrund hätten.

War es ein Versäumnis der letzten zwei Jahrzehnte, dass Sie und andere nicht genügend betont haben, dass Einwanderer auch Pflichten haben?

Goetsch:

Das glaube ich nicht. Es war immer klar, dass alle Einwanderer Rechte und Pflichten haben.

Was sind die größten Integrationsprobleme, die wir in Hamburg haben?

Goetsch:

Die Sprache steht obenan. Es sprechen immer noch nicht genug Migranten ausreichend gutes Deutsch. Und es gibt Defizite bei der Präsenz der Migranten in den Berufen. Im öffentlichen Dienst haben wir den Anteil derjenigen mit nichtdeutscher Herkunft in den letzten Jahren in Hamburg immerhin von 5,2 auf 15,3 Prozent gesteigert. Und bei den Referendaren für das Lehramt haben wir jetzt die 20-Prozent-Marke geknackt. Dafür, dass das alles Normalität sein sollte, kommt es doch recht spät.

Was sind die Gründe für die Defizite im Erlernen der deutschen Sprache?

Goetsch:

Wir haben jahrelang zu wenig Plätze in Sprach- und Integrationskursen angeboten. Wir können auch noch mehr tun, damit Migranten ihre Kinder möglichst früh in die Kita schicken. Da geht es um Werbung in Moscheen oder auch in türkischen Elternvereinen.

Was halten Sie von einem verpflichtenden letzten Kita-Jahr oder einer Kita-Pflicht überhaupt?

Goetsch:

Von Zwang halte ich nichts. Übrigens: Das letzte Kita-Jahr besuchen 96 Prozent des Jahrgangs. Da stellt sich die Frage der Kita-Pflicht gar nicht. Ich setze auf Werbung in den Gemeinden.

Mit welchen Forderungen nehmen Sie am Integrationsgipfel in Berlin teil?

Goetsch:

Ein wesentlicher Punkt ist die Einbeziehung der Eltern. Väter und Mütter müssen viel stärker einbezogen werden als bisher, wenn es um die Ausbildung und die Berufswahl ihrer Kinder geht. Das haben wir zu lange versäumt. Die Teilhabe der Eltern ist auch schon in der Kita wichtig. Ohne Einbeziehung der Eltern kann die Integration der Kinder nicht gelingen. Wir in Hamburg bilden Migranteneltern als Multiplikatoren aus. Das ist wichtiger als 1000 Flyer.