Sozialsenator Dietrich Wersich über Kita-Gebühren und die Gründe, weshalb er keine Angst vor der Volksinitiative hat

Hamburg. Nach dem erfolgreichen Volksentscheid gegen die Primarschule machen Eltern mit einer Volksinitiative für eine Gratis-Kita erneut gegen den schwarz-grünen Senat mobil. Im Abendblatt-Interview sagt Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU), warum er die Forderungen für "maßlos" hält und welche Strategie er jetzt einschlägt.

Hamburger Abendblatt:

Herr Wersich, haben Sie am Wochenende eine Flasche Sekt aufgemacht?

Dietrich Wersich:

Nein, weshalb sollte ich das?

Weil Sie einer der Gewinner dieser Sparklausur sind. In Ihrem Haushalt wird praktisch nicht gekürzt. Das ist doch ein Grund zum Feiern.

Wersich:

Wir geben 46 Millionen Euro weniger aus als geplant. Aber wir waren uns im Senat einig, dass wir der Stadt keinen Gefallen tun, wenn wir an den Projekten streichen, mit denen wir Menschen aus Problemlagen heraushelfen wollen. Da musste ich nicht viel kämpfen.

Wenn es so gut gelaufen ist, wäre ja Luft gewesen, um die Erhöhung der Kita-Gebühren zurückzunehmen.

Wersich:

Dass wir im Sozialetat weniger sparen müssen als der allgemeinen Quote entspricht, bedeutet ja nicht, dass wir mehr Geld haben. Die Kindertagesbetreuung haben wir sehr bewusst von weiteren Sparmaßnahmen ausgenommen. Im Gegenteil: Im neuen Doppelhaushalt für die Jahre 2011/12 sind 40 Millionen Euro mehr veranschlagt.

Wäre eine Rücknahme nicht aber sinnvoll gewesen - in Anbetracht dessen, dass Sie es jetzt mit einer Volksinitiative zu tun haben werden?

Wersich:

Volksentscheide sollten meines Erachtens nicht nur gestartet werden, um eine bessere Verhandlungsposition für eine bestimmte Position oder Bevölkerungsgruppe herauszuholen und Druck auszuüben. Das ist ja keine Unterschriftensammlung für einen guten Zweck wie gegen das Tragen von Pelz oder gegen Walfang. Das Volk tritt als Gesetzgeber auf. Ich bin überzeugt, alle sollten das Instrument des Volksentscheids sehr ernst nehmen.

Wie viel Angst haben Sie vor Frau Wackendorff, der Initiatorin von Kita-HH?

Wersich:

Keine, ich habe ja auch keine Angst vor Anträgen in der Bürgerschaft, in denen etwas gefordert wird. Man muss sich ernsthaft mit den Inhalten auseinandersetzen. Über den großen Wert der Kindertagesbetreuung sind wir mit dem LEA ja auch einer Meinung, deshalb hat die CDU seit 2001 die Kindergartenplätze von unter 50 000 auf fast 70 000 ausgebaut und die Ausgaben der Stadt von 287 Millionen Euro im Jahr auf rund 480 Millionen Euro dieses Jahr gesteigert.

Was kritisieren Sie an der Initiative?

Wersich:

Es geht um die Menge an Forderungen: Die Initiative will eine längere Betreuung der Kinder, verbesserte Qualität, bessere Bezahlung der Mitarbeiter bei weniger Kostenbeteiligung der Eltern und obendrein noch das vom Staat finanzierte Mittagessen. Jeder Privatmann, jedes Unternehmen und auch die Politik muss in so einer Situation entscheiden, was am wichtigsten ist. Doch die Initiative will einfach alles. Das ist maßlos. So trägt man keine Verantwortung.

Sie nennen die Forderungen der Volksinitiative maßlos. Dabei ist sie eine Reaktion auf die Erhöhung der Gebühren.

Wersich:

Die Forderungen der Initiative sind aber ganz andere als die Rücknahme der neuen Elternbeiträge. Die mussten wir wegen der guten Steuerentwicklung zuvor zehn Jahre lang nicht anpassen. Nun hat die schwere Wirtschaftskrise massive Steuereinbrüche verursacht. Aber wir brauchen mehr Geld, um die Kitas weiter auszubauen: Ich möchte, dass jedes Kind, das einen Kita-Platz braucht, auch einen bekommt. Da sind wir noch längst nicht am Ende. Das hat dazu geführt, dass wir den staatlichen und auch den Elternanteil erhöhen mussten, die Stadt trägt aber auch in Zukunft etwa 80 Prozent aller Kita-Kosten.

100 Euro mehr im Monat finden Sie also nicht maßlos?

Wersich:

Drei Viertel aller Eltern sind davon nicht betroffen, weil wir neue Beitragsstufen für diejenigen eingeführt haben, deren Einkommen oberhalb der bisherigen Höchstgrenzen liegt. Von diesem Viertel ist nur ein Teil betroffen, weil die neuen Stufen in Fünf-Euro-Schritten angehoben werden. Für die Eltern, die das bisher nicht bezahlen mussten, ist das eine klare Mehrbelastung, daraus mache ich keinen Hehl. Aber die Alternative wäre gewesen, für alle die Beiträge zu erhöhen, und das haben wir - übrigens gemeinsam mit dem LEA - verworfen.

Welche Strategie wollen Sie jetzt einschlagen? Frau Wackendorff wird ja schon als neuer Walter Scheuerl gehandelt ...

Wersich:

Das finde ich Frau Wackendorff gegenüber jetzt unfair.

... gut, aber wie wollen Sie verhindern, dass die neue Volksinitiative wie bei der Primarschule endet? Wird es weitere Gespräche geben?

Wersich:

Wir waren ja schon in Gesprächen und hatten uns verständigt. Doch die sachlichen, moderaten Kräfte im LEA haben sich offenbar nicht durchgesetzt, sondern diejenigen, die eine Maximalforderung durchsetzen wollen. Damit hat der LEA einer Einigung die Grundlage entzogen - jetzt müssen wir die Öffentlichkeit aufklären, dass diese Maximalforderungen nicht bezahlbar sind.

Was genau würde es denn kosten, wenn der Volksentscheid erfolgreich wäre?

Wersich:

Rund 200 Millionen Euro mehr jedes Jahr: der Verzicht auf die Elternbeiträge davon rund 100 Millionen Euro, hinzukämen der erweiterte Rechtsanspruch auf täglich sechs Stunden Betreuung ab dem zweiten Geburtstag, das kostenlose Mittagessen und die um 25 Prozent erhöhte Vergütung jeder Betreuerstunde. Das summiert sich. Wo soll das Geld herkommen?

Sie räumen der Volksinitiative aber Chancen ein?

Wersich:

Hier stellt sich neben dem kritischen Inhalt die Frage der rechtlichen Zulässigkeit. Die muss geklärt werden, weil es sich um einen massiven Eingriff in den städtischen Haushalt handelt. Das kann gegen die Verfassung verstoßen.

Haben Sie das bereits veranlasst?

Wersich:

Die Überprüfung durch das Verfassungsgericht kann erst nach Einreichung der Unterschriftenlisten erfolgen, bis dahin prüft das die Senatskanzlei.

Noch mal die ganz grundsätzliche Frage: Sind Sie der Meinung, dass es gut wäre, wenn die Kitas kostenfrei wären?

Wersich:

Wir wollen in der Kindertagesbetreuung drei Dinge erreichen: Kinder sollen früh, das heißt vor dem Schulalter, gefördert werden. Sie sollen ein bezahlbares Mittagessen bekommen. Und die Eltern sollen Familie und Beruf vereinbaren können. Alles zusammen können wir nicht kostenlos machen. Würden wir nur die Basisbetreuung kostenlos anbieten, nämlich fünf Stunden ohne Essen, wäre das natürlich möglich. Dann müssen die Eltern aber für das Mittagessen und auch die zusätzlichen Stunden viel mehr bezahlen. Der soziale Ausgleich, auf den wir in der Stadt zu Recht stolz sind, wäre dann nicht mehr gegeben.

Was sagen Sie denn zu dem Vorwurf, dass der Senat sich nicht genug in die Probleme der Familien hineinversetzen kann - auch weil die meisten Mitglieder kinderlos sind?

Wersich:

Da machen es sich die Kritiker zu leicht. Als politisch Verantwortliche müssen wir Prioritäten setzen. Wenn man das einfach diskreditiert nach dem Motto "Die haben ja keine Ahnung", dann tun wir unserer Stadt keinen Gefallen. Politik muss auch Nein sagen können, sonst kommen wir nie aus der Schuldenspirale.