Erstmals bleiben Lokale geschlossen. Anwohner und Geschäftsleute distanzieren sich von Krawallen

Vor den Cafés sitzen Menschen in der Sonne, nippen an ihren Getränken und hören den Straßenmusikanten zu. Es ist ein friedlicher Freitagnachmittag im Schanzenviertel. Kaum zu glauben, dass hier wohl schon bald wieder Autos brennen, Scheiben zu Bruch gehen und Steine fliegen werden.

Michael Schultz hat das schon öfter erlebt. Der Psychiater und Neurologe wohnt seit zwölf Jahren auf der Schanze. "Ich stehe politisch eher links und komme ursprünglich aus Bonn, bin also mit der Kultur des Demonstrierens groß geworden", sagt er. "Doch über das, was hier mittlerweile passiert, bin ich entsetzt. Es steht für nichts, hinter dem ich stehen könnte." Ähnlich sieht es Jutta Franck, die am Schulterblatt einen Kaffee- und Teeladen betreibt. "Früher hatten die Demonstranten politische Ziele. Heute kommen sie aus ganz Europa - eigentlich nur, um ihren Frust abzulassen."

Viele Geschäftsleute aus dem Viertel wollen sich nicht zu den Krawallen äußern. "Wir sind neutral", sagt etwa die Kellnerin eines portugiesischen Restaurants. "Das Schanzenfest ist schön, und von dem Rest kriegen wir nichts mit, weil wir arbeiten müssen." Andere Lokale setzen dagegen ein Zeichen: Daniela Bar, Die Herren Simpel, Haus 73 und Bedford bleiben zum ersten Mal während des Schanzenfestes geschlossen, weil sie Gaffern und Randalierern keine Plattform bieten wollen.

Anwohnerin Christin Hatting wird wie in den letzten Jahren bei Freunden schlafen. "Wir sind nicht das Ziel der Ausschreitungen, aber wer weiß, ob der Mob das in seinem Gewaltrausch noch unterscheiden kann", sagt sie. Ein anderer Schanzenbewohner, der seit 20 Jahren im Viertel lebt, hat seine Einstellung zu den Krawallen nach dem Schanzenfest geändert: "Früher habe ich mich wegen ihrer Präsenz über die Polizei geärgert. Heute ärgert mich die sinnlose Gewalt der Krawallmacher in ihren gebügelten Kapuzenpullis."