Das Klima zwischen den beiden einstigen Koalitionspartnern SPD und GAL, die prinzipiell ihre programmatische Nähe betonen, ist frostig.

Es war der dramatische Höhepunkt eines, nun ja, historischen Ereignisses, schließlich gibt es Bürgermeisterwechsel nicht alle Tage. Als Bürgerschaftspräsident Lutz Mohaupt das Wahlergebnis für Christoph Ahlhaus (CDU) am Mittwochnachmittag um 15.27 Uhr verkündete, kam er nur bis zur ersten Zahl. "Ja-Stimmen 70..."

Die CDU-Abgeordneten sprangen von ihren Sitzen auf, frenetischer Jubel brach los. Es war eine Stimmung wie im Volksparkstadion, wenn der HSV das entscheidende Tor geschossen hat. 70 Stimmen für Ahlhaus - das heißt, dass er mindestens zwei Unterstützer aus den Reihen der Opposition von SPD und Linken gehabt haben muss.

Auf der anderen Seite des Hohen Hauses herrschte daher betretenes Schweigen, auf einigen Gesichtern der Sozialdemokraten war blankes Entsetzen zu erkennen. Die wahrscheinlich vergebliche Suche nach den Abtrünnigen begann sofort. Soweit, so normal in der Politik: Wenn sich der eine diebisch freut, dann leiden die Gegner meistens.

Völlig überraschend war aber die Reaktion der Grünen, immerhin Ahlhaus' Koalitionspartner. Die zwölf GAL-Abgeordneten saßen beinahe regungslos da und rührten keine Hand. Dabei darf als sicher gelten, dass alle Grünen Christoph Ahlhaus gerade gewählt hatten, nur Freude über den Erfolg ihres Kandidaten stellte sich jedenfalls nicht sichtbar ein.

Die naheliegendste Erklärung ist, dass Ahlhaus wahrlich nicht der Wunsch-Bürgermeister der GAL ist und viele von Beust nachtrauern. Es kommt hinzu, dass ein Bürgermeister mit einem schlechteren Wahlergebnis für die Grünen leichter unter Druck zu setzen wäre. Ein Motiv für die ausgebliebene Begeisterung über die Ahlhaus-Wahl scheidet jedenfalls aus: irgendeine Sehnsucht nach Rot-Grün.

Im Gegenteil: Das Klima zwischen den beiden einstigen Koalitionspartnern, die prinzipiell gern ihre programmatische Nähe betonen, ist unter den Akteuren der SPD und GAL in der Bürgerschaft so frostig wie lange nicht mehr. Es ist nicht übertrieben, von rot-grüner Entfremdung zu sprechen.

Zunächst einmal sind die Sozialdemokraten verschnupft, weil die Grünen das kaum verhüllte Angebot der SPD zu Neuwahlen nach dem Rücktritt Ole von Beusts ausgeschlagen haben und stattdessen mit der CDU weiterregieren wollen. Dass sie beleidigt sind, würden SPD-Abgeordnete natürlich nie öffentlich zugeben.

"Die GAL ist eine normale Partei, die sich ihre Karten legt", sagt SPD-Fraktionschef Michael Neumann. Soll heißen: Mit einer CDU, die derzeit keine Alternative zum schwarz-grünen Bündnis hat, haben die Grünen vergleichsweise leichtes Spiel. Damit müsse man professionell umgehen, so Neumann.

Doch es geht um mehr als kühl kalkulierte Koalitionsoptionen: Es stimmt atmosphärisch und emotional nicht mehr zwischen den einstigen Koalitionspartnern - das zeigte sich in der Bürgerschaft am Donnerstag deutlich.

Die CDU-Rechtsexpertin Viviane Spethmann hatte den SPD-Vorschlag heftig kritisiert, aus der Sicherungsverwahrung entlassene Straftäter nach dem Psychisch-Kranken-Gesetz zwangsweise unterzubringen. "Das ist die Überschreitung einer ethischen Grenze. Dieses Mittel wurde im Dritten Reich angewendet", sagte Spethmann in der aktuellen Stunde.

Die Wut der Sozialdemokraten über diesen Nazi-Vergleich schwoll schon an, aber sie wurde noch größer, als die GAL auch noch mitzog. "Nach der Geschichte in unserem Land können wir solche Vorschläge nicht mehr in Erwägung ziehen", sagte der GAL-Abgeordnete Farid Müller. "Ich finde das vor dem Hintergrund der menschenrechtlichen Geschichte der SPD sehr bedenklich und möchte Sie bitten, von diesem Punkt abzusehen", wandte sich Justizsenator Till Steffen (GAL) direkt an die SPD.

Unter Demokraten zählt der Faschismus-Vorwurf mit zum schlimmsten, was man seinem Gegner anhängen kann. SPD-Mann Andreas Dressel, der den Vorschlag zur Sicherungsverwahrung gemacht hatte, sprach von "unerträglicher Polemik", die der Debatte nicht angemessen sei. "Uns Nazi-Methoden zu unterstellen, das tut schon weh", sagt Neumann. Dass die Grünen da mitzogen, werden viele Sozialdemokraten nicht vergessen.

Mit Farid Müller und Andreas Dressel sind ausgerechnet die beiden aneinandergeraten, die vor einigen Jahren noch ein rot-grünes Revival anschieben wollten. Vor der letzten Wahl, als über Schwarz-Grün schon eifrig spekuliert wurde, wollten die beiden dafür sorgen, dass SPD und GAL emotional wieder ein bisschen näher aneinanderrückten. Organisiert wurde ein Treffen von rund 20 jungen Abgeordneten beider Oppositions-Fraktionen. Rote und Grüne seien in vielen Bereichen, befand Dressel danach, "menschlich und politisch auf einer Wellenlänge". Und auch Müller war begeistert. "Total locker" sei die Zusammenkunft gewesen.

Dressel gab damals die Losung aus, man wolle "wieder Lust machen auf Rot-Grün in Hamburg". Es ist 2008 bekanntlich anders gekommen, schon mangels Masse. Die Rollen sind heute verschieden: Die GAL regiert, die SPD ist Opposition. Da müssen sich beide inhaltlich auseinandersetzen. Das ist Teil des politischen Spiels. Hinter vorgehaltener Hand erzählen Sozialdemokraten aber, dass die Grünen auch dann, wenn die Mikrofone ausgeschaltet sind, noch von Studiengebühren überzeugt sind, obwohl sie jahrelang dagegen gekämpft haben. Und auch die umstrittene Erhöhung der Kita-Gebühren werde von grüner Seite selbst im Hinterzimmergespräch noch verteidigt.

Umgekehrt haben die GALier den Eindruck, dass die SPD ihre Nadelstiche gegen die Koalition gezielt bei ihnen ansetzt und weniger bei der CDU. GAL-Fraktionschef Jens Kerstan glaubt, dass sich der Vorwurf von SPD-Chef Olaf Scholz, Schwarz-Grün stelle den "wirtschaftsfeindlichsten Senat seit 1946" vor allem gegen die GAL mit ihren Öko-Projekten richte. So habe die SPD gegen den parlamentarischen Brauch die sofortige zweite Lesung bei der Bewilligung eines Haushaltsnachtrags für die "Umwelthauptstadt 2011" verweigert - ein grünes Kernanliegen.

Neumann sieht das alles gelassen. Wenn das Ergebnis der nächsten Bürgerschaftswahl Rot-Grün möglich mache, so der SPD-Fraktionschef, "dann werden die auch wieder freundlich zu uns sein". Was Neumann nicht sagt: die SPD bestimmt auch.