Der erste Besuch der “Gorch Fock“ nach 21 Jahren lockte Tausende an die Landungsbrücken. Innenansichten eines Segelschulschiffs.

St. Pauli. 5.30 Uhr Wecken. Und um 7.30 Uhr das Kommando "Anker auf" - so lautete gestern Morgen der Tagesbefehl auf der "Gorch Fock". Die Nacht hatte die 85-köpfige Stammbesatzung des Marine-Schulschiffs noch auf der Reede vor Stade verbracht. Pünktlich um 10 Uhr, wie angekündigt, machte der Dreimaster dann an den St.-Pauli-Landungsbrücken fest, wo bereits Tausende Zuschauer gewartet hatten. Der erste Besuch des Hamburger Patenschiffs nach 21 Jahren Pause lockte eben mehr, als das regnerische Wetter abschreckte. Die Segel hatte die "Gorch Fock " aber diesmal nicht gesetzt: "Zu wenig Wind, zu viel Verkehr im Hafen", sagte Oberleutnant zur See und Segeloffizier an Bord, Helena Speth.

Bis zum Sonntag wird die 90 Meter lange Bark noch in Hamburg bleiben, für die Besatzung sind etliche Programmpunkte und Besichtigungen geplant. Aber auch die Hamburger können heute und morgen das Schiff besuchen (siehe unten).

+++ Info: Das Segelschulschiff "Gorch Fock" +++

Wie es an Bord der 52 Jahre alten Windjammer-Legende aussieht und was die großen Unterschiede zu Frachtschiffen sind - das zeigte die Crew dem Abendblatt schon gestern: Die Kommandobrücke beispielsweise liegt völlig ungeschützt vor dem Navigationshäuschen. Bis zu sechs Rudergänger stehen dort bei jedem Wetter draußen an den drei Steuerrädern, um das Schiff auf Kurs zu halten. Zum Stammrudergänger wird gerade der 20 Jahre alte Gefreite Patrick Heinen ausgebildet. Vier Stunden steht der blonde Nordhorner hier während seiner Wachen - den Kreiselkompass immer im Blick - und hält das Rad, das ohne jede Servotechnik die Kraft direkt aufs Ruderblatt überträgt. "Doch das schmerzt nicht unbedingt in den Armen, nach drei Stunden werden die Beine müde", sagt er. Und wenn dann noch Regen, Schnee oder Gischt im Auge piksen, die Kälte am Körper hochkriecht, muss er doch durchhalten.

Mit ganz anderen Umständen tief unter Deck hat Smut und Obermaat Christian Mattis in solchen Situationen zu kämpfen. In der kleinen, engen Kombüse liefert er täglich die Essen für die 85-köpfige Stammbesatzung und für bis zu 138 Offiziersanwärter, die während ihrer Ausbildungsreisen an Bord sind. Unterstützt von einem Gefreiten und einigen anderen, die meist zum Abwaschen oder Kartoffelschälen abkommandiert sind. Seegang im fensterlosen Raum, Essensgerüche, Stress - das hat schon manchen geschafft. Mattis ist da standhaft. Nur bei Sauerkraut werde er schwach; "Den Geruch kann ich auf See einfach nicht ab, dann muss auch ich raus an die Luft", sagt er.

Wie man bei so schlechtem Wetter gut schlafen kann - das ist nicht weit weg von Mannschaftsmesse und Kombüse zu sehen: In den Seitendecks sind die Schlafräume für die Kadetten untergebracht. Jeder deutsche Marine-Offizier hat dort schon einmal geschlafen, weil ein Ausbildungstörn auf dem 1958 in Hamburg gebauten Schulschiff zum Pflichtprogramm der Marine gehört. Geschlafen wird hier in Hängematten, die tagsüber verstaut werden. Jeweils sechs Matten hängen in kleinen Abteilungen, immer zwei übereinander. Was auf ersten Blick nach dem völligen Gegenteil eines Sternehotels aussieht, ist auf See aber wunderbar praktisch, versichert man an Bord und schwört auf diese schwebenden Etagenbetten. "Bei Seegang gibt es nix Besseres - ich habe mir daher auch eine in meine Kammer einbauen lassen", sagt Oberleutnant Helena Speth, die ihre Kadettenzeit schon viele Jahre hinter sich hat.

Wie hier im Schlafraum glänzt auch an Deck der Boden, frische Farben fallen auf: Erst vor wenigen Tagen war die "Gorch Fock" von einer Grundüberholung aus der Werft gekommen. Dort bekam das Schiff auch eine neue Galionsfigur. Wieder einmal. Der erste gelbe Albatros riss bereits in den ersten Jahren ab. Er war wie der Nachfolger noch aus Holz. Später wurde die Figur aus Polyester gebaut, doch auch sie ging in schwerer See verloren.

Nun hat die "Gorch Fock" ihre sechste Galionsfigur aus hochmoderner Kohlefaser. Die muss halten: Am 20. August wird das Schiff zu einer seiner längsten Reisen aufbrechen und dabei auch Kap Hoorn umrunden.