Bereits das zweite sozialliberale Bündnis auf Bezirksebene. FDP regiert inzwischen schon mit, nur ist das bislang nicht ganz so offensichtlich.

Hamburg. Die FDP mag bundesweit die Rolle eines politischen Notfallpatienten mittlerweile glaubhaft ausfüllen. Im hiesigen Rathaus sitzen die Liberalen vorerst sicher vor dem derzeitigen Wählerwillen immerhin auf den Oppositionsbänken. Mehr noch: Die FDP regiert inzwischen schon mit, nur ist das bislang nicht ganz so offensichtlich.

Wenn am kommenden Dienstag der SPD-Kreisvorsitzende Johannes Kahrs und FDP-Vize-Chef Matthias Still ihre Unterschrift unter den Koalitionsvertrag für den Bezirk Mitte setzen, dann ist das bereits das zweite sozialliberale Bündnis auf Bezirksebene. In Nord "regieren" SPD und FDP schon seit Mitte des vergangenen Jahres zusammen. Die SPD könnte in beiden Bezirken auch mit CDU oder GAL gemeinsam Politik machen. Was macht die Liberalen für die Sozialdemokraten so attraktiv?

Dass es in Mitte überhaupt zur rot-gelben Koalition kommt, liegt an der CDU, genauer gesagt an deren Zerstrittenheit. Nachdem Bernd Ohde vor einigen Wochen als CDU-Bezirks-Fraktionsvorsitzender abgewählt worden war, trat er kurzerhand aus seiner Partei aus und zum politischen Gegner FDP über. Erst durch diesen Zuwachs erhielten die Liberalen Fraktionsstatus. Als Fraktion stehen der FDP nun Sitze in den Ausschüssen zu, sodass SPD und FDP zusammen in allen Gremien eine Mehrheit haben. Allerdings hatten die Sozialdemokraten schon vorher nicht ganz uneigennützig den beiden damaligen liberalen Abgeordneten Plätze in mehreren Ausschüssen abgetreten. Im Gegenzug bedankte sich das FDP-Duo damit, dass es ein ums andere Mal der SPD die erforderliche Mehrheit in der Bezirksversammlung verschaffte.

Diese kleine Vorgeschichte gehört dazu, wenn man verstehen will, warum die FDP für die SPD ein besonders bequemer und handzahmer Koalitionspartner in Mitte ist. "Wir haben in den Verhandlungen festgestellt, dass wir die größten Deckungsbereiche mit der FDP haben", sagt SPD-Mitte-Chef Kahrs brav. Sollten Personaleinsparungen in der Bezirksverwaltung als Folge des Senats-Sparkurses nicht am Widerstand der Mitte-SPD scheitern, die FDP dürfte sich kaum querlegen. Auch das ehrgeizige Wohnungsbauprogramm des Senats wird in Mitte nicht an den Liberalen scheitern. Immerhin sorgte die FDP für eine liberale Duftnote im Koalitionsvertrag. "Wir haben den Anspruch, die Eigentumsbildung beim Wohnungsbau auch in Mitte zu fördern", sagte Sylvia Canel, FDP-Landesvorsitzende. Das ist sicher ehrenwert.

Als gesichert darf außerdem gelten, dass der SPD-Wunschkandidat für den Posten des Bezirksamtsleiters, der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Andy Grote, von der FDP mitgetragen wird. "Andy Grote ist jemand mit guten Voraussetzungen für dieses Amt", sagt FDP-Chefin Canel noch vorsichtig. Die Wahl des neuen Verwaltungschefs ist schon für den 26. April festgelegt.

Doch es gibt aus Sicht der SPD auch eine strategische Bedeutung der Bündnisse mit der FDP. Die Sozialdemokraten wollen Unabhängigkeit beweisen. Die indirekte Botschaft an die GAL, klassischerweise Koalitionspartner im Rathaus, lautet: Seid euch nicht zu sicher, wir können auch anders! Zwar gibt es drei rot-grüne Koalitionen auf Bezirksebene - in Altona, Wandsbek und Eimsbüttel -, aber niemand hat in der SPD vergessen, dass die Grünen mit der CDU Bündnisse eingegangen sind.

Aus einem ähnlichen Grund gibt es derzeit keine große Koalition auf Bezirksebene. Die Christdemokraten unter der Leitung von Ole von Beust haben sich nach der Bürgerschaftswahl 2008 gegen ein Bündnis mit der damals sehr bereitwilligen SPD und für Schwarz-Grün entschieden. Jetzt, nachdem sich die Mehrheitsverhältnisse gedreht haben, halten nun die Sozialdemokraten die Union von der Macht fern.

In einem weiteren Punkt hat Bürgermeister Olaf Scholz von seinem Vorgänger Ole von Beust gelernt: Der hatte schon 2004, als die CDU in der Bürgerschaft mit absoluter Mehrheit regierte, Schwarz-Grün auf Bezirksebene als Testlauf für das Rathaus angesehen. Mehr noch: In seinem gerade erscheinenden Buch "Mutproben" spricht von Beust im Zusammenhang mit der Entwicklung der schwarz-grünen Perspektive von seinen ersten Annäherungsversuchen in den 90er-Jahren. "Später dann unterstützte ich diskret die ersten schwarz-grünen Bündnisse in den Stadtteilen Altona und Harburg und versuchte mit ein paar Kollegen, die CDU auf die Großstadt einzurichten", schreibt der Altbürgermeister.

In einer Stadt, in der sich die traditionellen Lager auflösen, will auch die SPD ihre Handlungsoptionen erweitern. Nun ist es angesichts des aktuellen demoskopischen Kurswerts der FDP etwas vermessen, von Rot-Gelb als einer realen Machtoption zu sprechen, aber wer weiß. Es bleibt noch eine weitere Möglichkeit: Scholz hatte 2011 ein Bündnis mit der Linken noch kategorisch ausgeschlossen, für die Zukunft muss das nicht mehr gelten. Inzwischen hat es bei der wichtigen Abstimmung - dem Erwerb weiterer Hapag-Lloyd-Anteile - erstmals eine rot-rote Mehrheit in der Bürgerschaft gegeben.

Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis es auf Bezirksebene zum ersten rot-roten Bündnis kommt. Ein führender Mitte-Genosse lobt schon mal die Verlässlichkeit der Linken in seinem Bezirk, hält aber ein Bündnis mit der Partei derzeit in der SPD nicht für durchsetzbar. Betonung auf derzeit.