Bürgerschaft will über 420-Millionen-Euro-Deal zum Erwerb von Hapag-Lloyd-Anteilen abstimmen. Drei SPD-Abgeordnete sind mit dabei.

Hamburg. Das politische Opfer der Woche hat Arno Münster gebracht: Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete und HHLA-Betriebsratsvorsitzende erklärte am Dienstag im Fraktionsvorstand, dass er seinen Posten im Aufsichtsrat der städtischen Beteiligungsgesellschaft HGV mit sofortiger Wirkung niederlegen werde. Münster hat die im Rathausallein regierende SPD aus einer schlimmen Bredouille befreit.

Die eigene Bürgermeister-Mehrheit und damit die Handlungsfähigkeit des Senats war in Gefahr - und das bei einer der wichtigsten wirtschaftspolitischen Abstimmungen dieser Legislaturperiode. Am Mittwoch will die Bürgerschaft über den vom Senat eingefädelten 420-Millionen-Euro-Deal zum Erwerb von weiteren Anteilen der Stadt an der Reederei Hapag-Lloyd abstimmen. Bei gleich drei SPD-Abgeordneten besteht die begründete Annahme, dass sie bei Beratung und Abstimmung des Projekts befangen sein könnten.

Außer Münster sind das der Reeder Erck Rickmers und Ver.di-Landeschef Wolfgang Rose. Rickmers, der zurzeit drei Containerschiffe - darunter die "E.R. Melbourne" - an Hapag-Lloyd verchartert hat, besitzt ein "unmittelbares wirtschaftliches Interesse" an der Kapitalaufstockung, wie es in einem Vermerk der Bürgerschaftskanzlei heißt. Rickmers hat ebenso wie Rose erklärt, dass er an der Hapag-Lloyd-Abstimmung nicht teilnehmen wird. Ver.di-Chef Rose ist Hapag-Lloyd-Aufsichtsratsmitglied. Auch bei ihm gibt es eine Interessenkollision - oder eineInteressenverknüpfung, wie es etwas freundlicher auch heißt.

Nun hätte auch Münster erklären können, dass er an der Abstimmung nicht teilnimmt, was konsequent gewesen wäre. Nur wäre die SPD-Mehrheit dann eben weg gewesen. Die Sozialdemokraten hätten nur noch 59 Stimmen gehabt - genauso viele wie die Opposition von CDU, GAL, FDP und Linken. Zwar hat inzwischen auch CDU-Mann Thilo Kleibauer erklärt, dass er nicht mitstimmt. Kleibauer ist Analyst bei der Warburg-Bank, die über das Konsortium Albert Ballin Miteigentümer von Hapag-Lloyd ist. Aber vom Wohlwollen der Opposition wollte SPD-Fraktionschef Andreas Dressel denn doch nicht abhängig sein. "Ich möchte in dieser wichtigen Frage eine eigene Mehrheit haben", sagt Dressel.

Und so kam Münsters Mandatsverzicht ins Spiel. Eifrig wird betont, dass Münsters Schritt freiwillig war. Dressel soll ihn deswegen im Fraktionsvorstand kräftig gelobt haben. Politisch und moralisch glaubwürdig ist das Verhalten der Sozialdemokraten nicht. Die Fälle der beiden Abgeordneten Rose und Münster sind gleich gelagert: Beide sind Aufsichtsratsmitglieder. Rose ist als Kontrolleur von Hapag-Lloyd sogar noch "dichter dran" als Münster bei der städtischen HGV. Konsequent wäre es, wenn beide nicht an der Abstimmung teilgenommen oder beide auf ihren Aufsichtsratsposten verzichtet hätten.

Der Clou an der Sache: Juristisch spricht überhaupt nichts dagegen, dass alle vier Abgeordneten über den Hapag-Lloyd-Deal abstimmen. Die Bürgerschaft bekennt sich ausdrücklich zur freien, uneingeschränkten Ausübung des Mandats. Es besteht laut Abgeordnetengesetz lediglich eine Pflicht, als Parlamentarier eine mögliche Interessenkollision bei der Beratung im Ausschuss offenzulegen. Bei Abstimmungen im Plenum der Bürgerschaft ist nicht einmal das nötig. Trotzdem gilt es bei vielen inzwischen als gängige Praxis: Seit der Neuwahl vor einem Jahr haben bereits Abgeordnete in 38 Fällen wegen einer Interessenverknüpfung zwischen Job und Mandat an einer Abstimmung nicht teilgenommen Man kann das als einen Akt von politischer Transparenz und Hygiene betrachten.

Deswegen - wegen der Moral in der Politik -, aber auch, um der SPD eins auszuwischen, hatte die Opposition zuletzt den Druck auf Rose und Münster massiv erhöht. Dabei ist die Rechtslage in fast allen Ländern wie im Bundestag gleich. Nur in der Bremischen Verfassung gibt es ein Mitwirkungsverbot für Abgeordnete bei Entscheidungen, die ihnen oder Verwandten unmittelbare Vor- oder Nachteile bringen könnten.

Die Bürgerschaft erlaubt Aufsichtsratsmandate von Abgeordneten, weil für sie als Teilzeitparlamentarier die Vereinbarkeit von Beruf und Mandat besonders wichtig ist. Nur einmal, vor 41 Jahren, beschloss die damalige rot-gelbe Koalition im Rathaus, dass keine Abgeordneten mehr in die Aufsichtsräte städtischer Unternehmen entsandt werden dürfen. Doch merkwürdig: Mit Ablauf der Legislaturperiode 1974 galt die Bestimmung nicht mehr. Sie hätte per Beschluss erneuert werden müssen.

Bei anderen Interessenkollisionen ist das Gesetz strikt: Geschäftsführer städtischer Unternehmen dürfen seit 2001 gar nicht erst Abgeordnete werden, um jeden Anschein der Befangenheit zu vermeiden. Diese Regelung hat politische Karrieren beendet: So musste der langjährige CDU-Abgeordnete Karl-Heinz Ehlers die Bürgerschaft 2004 verlassen, weil er damals Chef der städtischen Sprinkenhof AG war.

Auch Amtsleiter und ihre Stellvertreter sowie Beamte auf vergleichbaren Behördenpositionen, Richter und Polizeivollzugsbeamte dürfen nicht für die Bürgerschaft kandidieren. Geradezu puristisch ist Hamburg bei der Trennung von Exekutive und Legislative auch in diesem Punkt: Wer Senator, Bürgermeister oder Staatsrat wird, kann nicht zugleich Abgeordneter sein, weil dessen Aufgabe ja gerade die Kontrolle der Regierung ist.