Seit Jahren befehden sich in der City-CDU zwei Lager unerbittlich. Dabei geht es nie um Inhalte, sondern immer nur um Personalfragen.

Hamburg. Als ob der Mann nicht genug Probleme mit seiner Partei hätte: CDU-Landeschef Marcus Weinberg laufen die Mitglieder weg, nach der krachenden Wahlniederlage 2011 steht die Union vor dem finanziellen Kollaps und in Umfragen tief im Keller - und dann? Dann ist da auch noch die CDU Mitte. Wie die Kesselflicker sind die beiden verfeindeten Lager des Kreisverbandes in dieser Woche aufeinander losgegangen. Nur eine Kostprobe: "Dann mal weiter viel Spaß in der letzten Reihe der Bürgerschaft, wenn du mal hingehen und bleiben würdest", ging Mitte-CDU-Mann Jörg Hamann seinen Abgeordnetenkollegen Heiko Hecht, ebenfalls CDU Mitte, frontal an. So reden Parteifeinde öffentlich miteinander.

Seit Jahren befehden sich in der City-CDU zwei Lager unerbittlich: Auf der einen Seite der Kreisvorsitzende und Ex-Bürgerschaftsabgeordnete David Erkalp mit Heiko Hecht und weiteren Getreuen. Auf der anderen Seite der frühere Kreischef und jetzige Bürgerschaftsabgeordnete Christoph de Vries mit Jörg Hamann, Jörn Frommann und ihren Mitstreitern. Es geht nie um Inhalte, sondern immer um Personalfragen, darum, wer die Mehrheit, also die Macht hat. Anlass für die aktuellen Eruptionen ist die Abwahl von Bernd Ohde als CDU-Bezirksfraktionschef. Der Erkalp-Mann wurde gekippt und durch Frommann ersetzt, weil mehrere Abgeordnete das Erkalp-Lager verlassen hatten. So einfach geht das.

Mit Schrecken erinnern sich Christdemokraten noch an die Aufstellung der Landesliste zur Bürgerschaftswahl 2011. Erkalp war auf Platz acht durchgefallen, weil ausgerechnet sein Widersacher de Vries auf dem Parteitag überraschend gegen ihn angetreten und gewählt worden war. In der Lobby des Hotels Elysée schrien sich die Kombattanten an. Verrat war noch eines der harmloseren Wörter. Ein CDU-Mitglied fühlte sich in Wortwahl und Stil des Streits an "eine Kiezkneipe nachts um drei Uhr" erinnert.

Seit diesem Showdown hat sich nichts geändert. Einsicht ist auf keiner Seite vorhanden. Die Quittung: Die CDU Mitte holte mit 17,6 Prozent bei der Bezirksversammlungswahl das landesweit schlechteste Unions-Ergebnis. Parteichef Weinberg ist ein umgänglicher, freundlicher Politiker, der aber jetzt die Geduld zu verlieren droht. "Die Landes-CDU braucht und will endlich Ruhe. Dafür gibt es klare Ansagen", sagt Weinberg mit Blick auf die Mitte-Parteifreunde. Schon einmal war der Parteichef allerdings mit dem Versuch gescheitert, mit einem externen Moderator die Wogen zu glätten.

Die nächste Gelegenheit bietet sich in wenigen Wochen, wenn ein neuer Kreisvorsitzender gewählt wird. "Eine neutrale Persönlichkeit, die in die jahrelangen Streitereien nicht involviert ist, könnte neues Vertrauen für die Mitglieder schaffen", sagt Weinberg. Im Erkalp-Lager könnte das Interesse an einer externen Lösung wachsen, weil die eigene Mehrheit im Kreisverband verloren sein könnte. So ließe sich wenigstens ein Vorsitzender de Vries verhindern. Nach Abendblatt-Informationen wird schon fleißig an einer Kandidatur gebastelt: Ex-Senatorin Herlind Gundelach mit Wohnsitz in Wilhelmsburg soll die Friedensfürstin sein.

Selbst Parteifreunde sprechen von einem "feudalen System" in der CDU Mitte. Man organisiert Mehrheiten, um sich und eigene Gefolgsleute auf Posten und Pöstchen zu bringen. Erkalps Aufstieg, um nur ein Beispiel zu nennen, begann mit einem Masseneintritt aramäischer Christen in die Billstedter CDU, deren Vorsitzender Erkalp 2006 wurde. Auch er gehört dieser Glaubensrichtung an. Umgekehrt wird Loyalität mit Ämtern belohnt. Es geht, knapp gesagt, nicht um Qualifikation und Leistungsfähigkeit, sondern um die richtigen Kontakte. "Es wurden Personen nach oben gespült, die gar nicht nach oben gehören", sagt ein Christdemokrat. Bernd Ohde, der gestürzte Fraktionschef und Ex-Spitzenkandidat, hat die Partei übrigens inzwischen verlassen. Beobachter rechnen damit, dass der Abgeordnete, der sein Mandat behalten will, zur SPD wechselt.

Parteiübertritte sind in Mitte nicht ungewöhnlich. In der GAL-Fraktion sitzen drei frühere Sozialdemokraten. Ohdes Fall wäre aber besonders pikant: Mit ihm hätte die SPD plötzlich die absolute Mehrheit in der Bezirksversammlung und wäre nicht mehr auf einen Koalitionspartner angewiesen.

Die SPD Mitte ist schon einen Schritt weiter als die zerstrittene CDU. SPD-Kreischef Johannes Kahrs ist der bislang unumschränkte Herrscher, der Posten auch nach Loyalität vergibt. Auf diesem Weg sichert Kahrs seine Macht mit Gefolgsleuten. Zugespitzt formuliert trägt das System Kahrs absolutistische Züge. Der von Bürgermeister Olaf Scholz erzwungene Rücktritt Markus Schreibers (SPD) als Bezirksamtsleiter hat Kahrs' Macht jedoch erschüttert.

Dennoch: CDU und SPD Mitte führen in ihren Landesverbänden ein Eigenleben. Selbst bei der GAL ist der Mitte-Sprengel ein besonderes Pflaster. Der Bürgerschaftsabgeordnete Farid Müller und Mitte-Bezirksfraktionschef Michael Osterburg lieferten sich ein erbittertes Rennen mit persönlichen Vorwürfen um die Mitte-Spitzenkandidatur zur Bürgerschaftswahl. Osterburg war es, der mit Schreiber 2010 für ein rot-grünes Bündnis im Rathaus warb, als dort noch Schwarz-Grün regierte.

Warum immer wieder Mitte? Warum gehen Politiker hier mit den härtesten Bandagen aufeinander los? Warum ist Politik hier so sprunghaft? Eine Antwort könnte in der Heterogenität des Bezirks mit seinen sehr unterschiedlichen Milieus liegen - szenig wie St. Georg und St. Pauli, bodenständig wie zum Beispiel Finkenwerder. Mitte hat anders als eher bürgerliche Gegenden wie Wandsbek oder Altona keine fest gefügte Struktur mit einem ausgeprägten Vereinsleben, was Bindungen schafft. Die Fluktuation ist im Bezirk Mitte besonders hoch, was die politische Kontinuität erschwert. Ein weiteres Moment kommt hinzu. "Keine Partei in Mitte hat es geschafft, den hohen Anteil von Migranten wirklich zu integrieren", sagt ein nachdenklich-selbstkritischer Mitte-Politiker.

Einer, den längst die Verzweiflung über die Mitte-Zustände gepackt hat, zitiert dagegen Voltaire mit Blick auf dieses sehr spezielle Politik-Biotop: "Ein Dummer findet immer noch einen Dümmeren, der ihn bewundert."