Wie schwer es wird, gegen die SPD-Regierung effektiv und öffentlich wahrnehmbar zu punkten, wird den meisten erst jetzt richtig klar.

Hamburg. 52. Das ist die Zahl, die die Oppositionsparteien in der Bürgerschaft aufstöhnen lässt. Ein Jahr nach der Bürgerschaftswahl würden 52 Prozent der Hamburger die SPD wählen. Damit hat Olaf Scholz seine absolute Mehrheit nicht nur bestätigt, sondern noch deutlich ausgebaut. Dass das erste Jahr in der Opposition nicht leicht werden würde, haben viele Abgeordnete von CDU, GAL, FDP und Linken geahnt. Wie schwer es tatsächlich wird, gegen die SPD-Regierung effektiv und öffentlich wahrnehmbar zu punkten, wird den meisten erst jetzt richtig klar.

Das erste Problem: Es gibt nicht die eine Opposition, die gemeinsam vorgeht. "Die Zusammenarbeit funktioniert nicht, weil die Unterschiede zu groß sind", sagt ein Parlamentarier dazu. Genau das mache Olaf Scholz auch so stark. Denn CDU und GAL neutralisieren sich oft mit ihren Angriffen. So geschehen beim Thema Rückkauf der Energienetze. Die GAL kritisiert, der Senat mache zu wenig und solle die kompletten Netze zurückkaufen; die CDU lehnt auch den Teilrückkauf ab.

Vor allem die CDU ist bis heute mit sich selbst beschäftigt. Die krachende Wahlniederlage versetzte viele Unionsmitglieder in eine Art Schockstarre. Dann ging es - wie es in der Fraktion heißt - für viele darum, ihre eigenen Felle zu retten. Das "Geschacher um die wenigen noch verfügbaren Posten ging los". Noch heute ist die Fraktion keine Einheit. Die Wahl des Fraktionsvorsitzenden Dietrich Wersich am Montag zeigte das deutlich. Mit nur 79 Prozent wurde er im Amt bestätigt. 22 Abgeordnete stimmten für ihn, sechs gegen ihn. Einer, der bei der Wahl dabei war und nach eigenen Aussagen für Wersich gestimmt hat, nennt es hinter vorgehaltener Hand ein "beschissenes Ergebnis". Mit dieser Meinung steht er nicht allein da. Ein anderer spricht von "gekränkten Eitelkeiten", einem "charakterlosen und parteischädigenden Verhalten". Einen starken Oppositionsführer bekommt man so nicht. Einige CDU-Abgeordnete werfen ihm Arroganz vor, eine "verkopfte und zu intellektuelle" Herangehensweise. Gleichzeitig bescheinigen sie ihrem ersten Mann auf der Fraktionsbank über alle persönlichen Befindlichkeiten hinweg eine "außergewöhnliche Intelligenz".

In der Opposition angekommen ist die CDU jedenfalls noch nicht. Aus der Fraktion heißt es dazu von "Ein Teil weiß doch gar nicht, was Oppositionsarbeit wirklich ist" über "Eine maue Truppe, die nichts zustande bringt" bis hin zu "Wir haben ganz ordentlich Tritt gefasst". Was braucht es mehr, um die Zerrissenheit deutlich zu machen.

Ein Zustand, der auch der GAL nicht fremd ist. Kurz nach der Wahl ging bei den Grünen das Hauen und Stechen los. Anders als in der CDU, die vor allem "nach vorne blicken" wollte, ging es bei den GALiern darum, die Gründe für die Wahlschlappe aufzuarbeiten und Lehren daraus zu ziehen. Schonungslos gingen sie mit sich selbst ins Gericht. Am Ende haben sie es aber geschafft und ließen nach monatelangen Diskussionen Vergangenes hinter sich.

Sogar der Streit um die neue Fraktionsführung wurde elegant gelöst. Nachdem Ex-Senatorin Anja Hajduk auf den Vorsitz verzichtet hatte, standen sich nur noch Fraktionschef Jens Kerstan und Ex-Justizsenator Till Steffen im Ring gegenüber. Im Vorfeld versicherten sie sich gegenseitig, der jeweils andere werde für den Fall, dass er nicht gewählt wird, in der Fraktion weiter eine wichtige Rolle spielen, eine Abmachung unter Männern, die bis heute gilt.

Nach der "Findungsphase im ersten Jahr" will die GAL 2012 zum Angriff übergehen. "Für uns ist es relativ komfortabel, dass Olaf Scholz bei den Themen Umwelt und Verkehr gar nicht erst den Eindruck erwecken will, dass er sich darum kümmern würde", heißt es mit leicht höhnischem Grinsen in der Fraktion. Die GAL will sich auf urgrüne Themen wie Umwelt, Energie und Klimaschutz konzentrieren, hat gleichzeitig aber auch erkannt, dass es "keinen Sinn macht, voll auf Konfrontation" zum Senat zu gehen. "Wir müssen die Angriffe gut vorbereiten und einen langen Atem haben", heißt es.

Das ist für die regierungsferne Fraktion "Die Linke" selbstverständlich. Sie war Oppositionsfraktion, ist Oppositionsfraktion und will auch künftig gar nichts anderes sein. Trotzdem hat auch sie mit Problemen zu kämpfen. Das gesundheitsbedingte Ausscheiden von Joachim Bischoff hat der Fraktionsarbeit einen schweren Schlag versetzt. Der unermüdlicheArbeiter, zum Teil brillante Redner und schnelle Denker ist eben nicht einfach zu ersetzen.

Die FDP hat nach den neuesten Umfragewerten echte Schwierigkeiten. Gerade mal noch zwei Prozent der Hamburger würden für die Liberalen stimmen. Zwar mühen sich einige Fraktionsmitglieder wie Wieland Schinnenburg redlich ab, stellen fleißig Kleine Anfragen, gehen in jeder Parlamentssitzung in die Bütt. Das kann aber nicht über das eigentliche Problem der Fraktion hinwegtäuschen: eine inhaltlich schwache Fraktionsvorsitzende. Wer die Bürgerschaftssitzungen beobachtet, dem fällt auf, dass noch nicht einmal viele Oppositionsabgeordnete KatjaSuding zuhören, wenn diese ans Pult tritt. Politisch Wegweisendes von ihrist nicht überliefert.

Probleme gibt es auch in der Alltagsarbeit. Bei der gemeinsamen Sitzung von Haushalts- und Wirtschaftsausschuss, in der über die Hapag-Lloyd-Beteiligung debattiert wurde, verließ die Fraktionsvorsitzende Katja Suding nach einem Anruf um 21.30 Uhr die Sitzung. Sie ging auf den Hafen-Empfang im Maritimen Museum. Während sich die Parlamentarier bis 0.30 Uhr mit Finanzfragen beschäftigten, lächelte Suding in die Kameras.